Die 50 Groessten Luegen Und Legenden Der Weltgeschichte
nicht zuletzt auf das Mittelalter bezieht, gilt die Zeit zwischen 500 und 1500 n. Chr. – um eine grobe Periodisierung zu verwenden – als finsteres Zeitalter. Da sind der kalte Griff der unbarmherzigen Kirche auf jede Seele und ihre lustfeindliche Strenge; da ist das Elend der breiten Masse, die buchstäblich im Dreck leben muss und der nur ein kurzes, freudloses Leben vergönnt ist. Wir lernen in der Schule vom Schrecken der feudalistischen Grundherrschaft, die den Einzelnen unerbittlich knechtet. Wir erfahren von der beständigen Angst der Menschen – vor dem Teufel oder der Kirche, vor den Gefahren der undurchdringlichen Wälder oder dem göttlichen Zorn in Form eines Gewitters oder Sturms. Es gab keine Vernunft und kein Wissen, die den einfachen Menschen diese Grundangst nehmen konnten, weil so viel um ihn herum unerklärbar schien. Da sind Scheiterhaufen und Pest, Kreuzzüge, Judenverfolgung und und und … die Aufzählung könnte beliebig fortgesetzt werden. Selbst Goethe bezeichnete die Epoche einmal als »traurige Lücke«, und Voltaire sprach von »dieser traurigen Zeit«. Mit einem Satz: Kein moderner Mensch könnte ernsthaft behaupten, lieber im Mittelalter gelebt zu haben. Aber wird der Epoche nicht unrecht getan, wenn man sie auf Düsteres, Fremdes, lächerlich Unmodernes und Unmündiges reduziert?
Schon der Begriff »Mittelalter« hat etwas Abschätziges ansich. Er bezeichnet die Zeit zwischen zwei Epochen, der Antike und der Moderne, als handele es sich um das notwendige Übel eines Übergangs und nicht um ein eigenständiges Zeitalter. Dabei umfasst diese vermeintliche Zwischenzeit immerhin rund ein Jahrtausend!
Der Begriff »Mittelalter« stammt aus der Zeit des Humanismus und bezog sich zunächst auf Sprache und Literatur, also auf einen Zeitraum zwischen klassischer Antike und der damaligen Gegenwart. Der Humanist Petrarca benutzte die Metapher von Licht und Dunkel, von der strahlenden antiken Kultur und dem Dunkel des sich anschließenden tausendjährigen Niedergangs. Historiker sprechen vom Mittelalter als geschichtlicher Epoche seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Wie umstritten der Begriff und seine Eingrenzung sind, zeigt auch die schwierige Periodisierung: Als Endpunkt des Mittelalters wird – jeweils durchaus begründet – mal die Renaissance angesetzt oder Kolumbus’ Entdeckung Amerikas, mal der Buchdruck Gutenbergs oder die Reformation – oder gar die Französische Revolution.
Die Polemik des Begriffes liegt aber mehr noch als in der verunglimpfenden Einordnung als Zwischenzeit in der überheblichen Sichtweise auf die Epoche. Bis heute ist das Mittelalter eine Art negativer Bezugspunkt, um sich der eigenen Fortschrittlichkeit zu versichern. Das nahm seinen Anfang mit der Renaissance, die an die Größe der Antike anknüpfen und gleichzeitig die ihr nachfolgende Zeit diskreditieren wollte, sowohl kulturell als auch religiös und politisch. Dazu kam später die Opposition der Aufklärung gegen die Kirche, mochte sie Europa auch über Jahrhunderte geprägt haben. Die Einordnung als düsteres Zeitalter übernahm die Aufklärung von den Humanisten. Sie nahm in Anspruch, nach dunklen Jahrhunderten wieder Licht über die Menschheit zu bringen und ihren Geist zu erhellen – durch Vernunft, Achtung vor dem Individuum, ein Ende derFremdbestimmtheit und so weiter. Ebenso hatte die Reformation reklamiert, nach dem verwerflichen Dunkel des katholischen Mittelalters an die antike Urkirche anzuknüpfen und mit Luther wieder strahlendes Licht über die Gläubigen zu bringen.
Dieses polemische Schema wirkt bis heute weiter. Mit Vorliebe wird das Adjektiv »mittelalterlich« bemüht, wenn Zustände beschrieben werden, die grausam, rückständig, überholt, inakzeptabel oder lächerlich erscheinen. Dabei ist bei aller berechtigten Kritik am Mittelalter gerade die Neuzeit nicht gerade berufen, aus der sicheren Position der Besseren über vergangene Epochen zu richten. Schließlich gilt das 20. Jahrhundert unangefochten als das inhumanste überhaupt und hat die Neuzeit das Mittelalter an Grausamkeit insgesamt längst überholt: Da sticht die neuzeitliche Sklaverei die mittelalterliche Grundherrschaft mühelos aus – im Unterschied zur Sklavenhaltung der Antike und der Neuzeit wurden im Mittelalter Leibeigene nicht verkauft – und ebenso der technologisch hochgerüstete Krieg der Moderne die militärischen Auseinandersetzungen des Mittelalters.
Vor zweihundert Jahren speiste sich die
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