Die 50 Groessten Luegen Und Legenden Der Weltgeschichte
selbstgerechte Ablehnung des Mittelalters aus der Fortschrittsgläubigkeit und der trügerischen Gewissheit, auf der Überholspur in eine lichte Zukunft zu rasen. Das hat sich nicht bewahrheitet, und so müsste der Befund aus dem Blickwinkel einer Moderne, die sich in vielerlei Hinsicht leergelaufen und mit massiven Problemen zu kämpfen hat, eigentlich ganz anders ausfallen. Aber wir urteilen weiter aus dem noch immer wohligen Gefühl unseres modernen Lebens mit Auto und Krankenversicherung, Elektrizität und Computer, Fernreise und Fernsehen. All das hatte das Mittelalter nicht zu bieten, und natürlich handelt es sich aus heutiger Perspektive um eine ausgesprochen rückständige Zeit. Gleichzeitig aber vergessen wir, dass die Grundlagen unserer Gegenwart nicht zuletzt im Mittelalter liegen und jenes Jahrtausend eine höchst lebendigeZeit mit vielen Facetten und Entwicklungen gewesen ist. Immerhin wurde in dieser Epoche Europa urbar gemacht und der Pflug erfunden; die ersten Universitäten wurden eingerichtet, und es entstand ein dauerhaftes staatliches Gebilde wie Frankreich. Schließlich verdanken wir dem Mittelalter unseren Kalender und die arabischen Zahlen, großartige Kathedralen und blühende Städte. Auch die Freiheitsrechte der Magna Charta Libertatum verdankt England dem Mittelalter. Und viele Ansichten über das Mittelalter sind schlichtweg unzutreffend: Weder wurden die Menschen nicht viel älter als dreißig Jahre, sondern durchaus auch achtzig – da trügt die Statistik, weil die Kindersterblichkeit dramatisch hoch war. Auch war die Grundherrschaft kein rein mittelalterliches Phänomen. Und die Hexenverfolgung entfaltete ihre Schrecken erst in der Neuzeit. Ebenso falsch ist die weitverbreitete Ansicht, der Mensch des Mittelalters habe stumpf in der Masse vegetiert und sich nicht als Individuum gesehen, denn die Grundlagen der individuellen Selbstwahrnehmung, auf die wir heute so viel Wert legen, liegen eben gerade im Mittelalter. Und selbst der Begriff der Freiheit ist keine Errungenschaft der Neuzeit. Insofern war das Mittelalter ebenso wenig einseitig naiv wie unsere Epoche immer ausschließlich vernunftbestimmt ist.
Aber das Label »rückständig« verpassen wir ja heute schon der Zeit unserer Großeltern. Dabei vergessen wir gerne, dass uns im Gegenzug zu all den Errungenschaften immer häufiger Dinge fehlen, die unsere Großeltern oder eben das Mittelalter noch besaßen: einen schützenden und identitätsstiftenden Wertekanon beispielsweise oder die Sicherheit eines Sozial- oder Familienverbandes. Wer die Errungenschaft der individuellen Freiheit schätzt, wird auch bedauern, dass diese in einer Konsum- und Mediengesellschaft zunehmend ins Hintertreffen gerät. Und so wenig nachvollziehbar uns die jenseitige Ausrichtung des so religiös gefärbten Mittelalters heute erscheinen mag: Längst erfahrenwir die problematischen Folgen einer ausschließlich auf das Diesseits gerichteten Gesellschaft.
Jedes Zeitalter hat Licht und Schatten, Verdienste und Versäumnisse. Und so hat auch das Mittelalter bei allem Schatten viel Lichtes und Heiteres zu bieten, das aus dem Obskuren heraustritt, wenn die dunkel gefärbte Brille der Moderne einmal beiseitegelegt wird. Als ausnahmslos finsteres Zeitalter und Inbegriff von lächerlichen, hoffnungslos rückständigen Zuständen verunglimpft zu werden, das hat die Epoche zwischen 500 und 1500 n. Chr. schlichtweg nicht verdient.
Héloïse und Abaelard: Leidenschaftliche Liebesbriefe aus dem Kloster?
HÉLOÏSE UND ABAELARD
LEIDENSCHAFTLICHE LIEBESBRIEFE AUS DEM KLOSTER?
Die Liebesgeschichte von Héloïse und Abaelard ist die wohl bekannteste und ergreifendste des europäischen Mittelalters. Sie ist weit über den Kreis derer hinaus bekannt geworden, die sich für die Epoche interessieren. Die beiden begegneten sich 1116/1117, als Héloïses Onkel Fulbert, Domkanoniker in Notre-Dame in Paris und für die Erziehung seiner Nichte verantwortlich, Abaelard als ihren Lehrer engagierte. Der knapp Vierzigjährige aus der Nähe von Nantes war damals bereits eine geistige Autorität, ein ruheloser Geist, der seine chronische Neugierde zur Suche nach der Wahrheit einsetzte. Das verschaffte ihm in den Reihen der gestrengen Kirchenleute nicht nur Freunde. Zudem besaß er nicht gerade den Ruf eines sittenstrengen Mannes. Abaelard gilt als einer der Begründer der scholastischen Methode, mit der er Vernunft und Theologie näher zueinanderbringen wollte. In seiner Autobiografie
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