Die 50 Groessten Luegen Und Legenden Der Weltgeschichte
Reisebegleiter äußerten sich entrüstet, als sie von den verleumderischenGerüchten hörten, und bestritten ihren Wahrheitsgehalt vehement.
Dennoch wurden sie von anderen fortgesetzt und ausgeschmückt: Eben jene Bauern, die Potemkin durchs Land getrieben hatte, um der Zarin zu imponieren, habe er gleich anschließend ohne jedes Erbarmen kläglich verhungern lassen. Hungersnöte hat es zu dieser Zeit zwar tatsächlich gegeben, aber sie stehen nicht im direkten Zusammenhang mit Potemkins Politik. Auch die Behauptung, es seien Staatsgelder veruntreut worden, widerlegt der Blick in die russischen Haushaltsabrechnungen. Und die Zweifel an den Leistungen Potemkins waren völlig unbegründet. Ins gleiche Horn stieß kurz nach Katharinas Tod ihr ehemaliger Leibarzt Adam Weikard, ein Mediziner aus Fulda, und bald darauf auch der Theaterautor August von Kotzebue. Weikards Bericht fällt nicht so drastisch aus wie der Helbigs, aber trotzdem kommt er immer wieder auf das Blendwerk Potemkins zurück, für den der Mediziner offenbar wenig Sympathie aufbringen konnte: »Es versteht sich, dass an jenen Seiten, wo die Kaiserin durchgeführt wurde, Wälle, Mauern, Thore, Pallisaden alles im vortrefflichsten Zustande war. An anderen Gegenden war manchmal noch kein Stein am Thore, oder es war auch wohl ein Stück Wall wieder eingefallen. Grosse, welche sich im Pompe herum führen lassen, bekommen nie ihr Land zu sehen, wie es wirklich ist, sondern wie man will, dass sie es sehen sollen.«
Aber Potemkin hatte durchaus ganze Arbeit geleistet. Zwar wurden seine höchst ehrgeizigen und kostspieligen Pläne nicht im vollen Umfang umgesetzt. Und auch wenn er mit einiger Wahrscheinlichkeit und verständlicherweise hier und da Unfertiges als vollendet präsentiert haben dürfte und zweifellos jede Station der Reise aufwendig herausgeputzt wurde, um die Zarin und ihre Reisegesellschaft zu beeindrucken, so war für die Teilnehmerdoch unübersehbar, was sich binnen weniger Jahre im Süden des Reiches getan hatte. Das bestätigten auch andere Reisende, die in späteren Jahren den Süden der Ukraine bereisten und von Potemkins kolonisatorischen Leistungen höchst beeindruckt waren. Und im Krieg gegen die Türken, der schon bald nach der »Taurischen Reise« begann, erwiesen sich die Werke Potemkins als alles andere als von Pappe – immerhin siegte Russland über die Türkei nicht zuletzt durch Potemkins starke Flotte und seine befestigten Städte.
Katharina II., die deutsche Prinzessin aus Anhalt-Zerbst, die zur mächtigen Alleinherrscherin Russlands aufstieg und das Russische Reich erheblich vergrößerte, faszinierte schon ihre Zeitgenossen. Nach ihrem Tod wurde ihr Leben von zahlreichen Schriftstellern beschrieben, mal mehr, mal weniger substanzreich, mal mehr, mal weniger sensationsorientiert. Eine wichtige Rolle spielte dabei das Liebesleben der Frau, die kaltblütig ihren Mann ausgeschaltet hatte, um Russland selbst zu beherrschen. Für Zeitgenossen und Nachwelt hatte sie sich damit in die fatale Abhängigkeit wechselnder Günstlinge begeben, die ihre weibliche Schwäche hemmungslos ausnutzten und sie für ihre Zwecke benutzten. Ein Weiteres bewirkten die massiven Vorurteile des aufgeklärten Europas gegenüber Russland, in den Augen westlicher Beobachter ein zerrissenes Land voller Gegensätze. In der Tat trat auf der berühmten »Taurischen Reise« der Gegensatz zwischen Prunk und Pomp des reisenden Hofes und dem Elend der einfachen Bevölkerung für die Mitreisenden klar zutage. Und dieser Kontrast, der Westeuropäer immer wieder entsetzte, dürfte zu der vereinfachten Einschätzung geführt haben, dass nichts an Potemkins Werk echt und schlichtweg alles von Pappe war.
Die Berichte der missgünstigen Männer Helbig, Weikard und Kotzebue finden bis heute in die meisten dieser LebensbeschreibungenEingang. Und die Redewendung der Potemkinschen Dörfer wird trotz ihres unhistorischen Hintergrundes auch weiterhin ihre Beliebtheit behalten.
Französische Revolution: Kein Sturm auf die Bastille?
FRANZÖSISCHE REVOLUTION
KEIN STURM AUF DIE BASTILLE?
Alljährlich im Sommer zelebriert Frankreich seinen Nationalfeiertag. Der Präsident der stolzen Republik nimmt auf den Champs-élysées eine Militärparade ab, und das Volk feiert in zahlreichen Festen und Bällen meist unter freiem Himmel den Tag, an dem das revolutionäre Volk das gefürchtete Staatsgefängnis Bastille stürmte: am 14. Juli 1789. Der Historiker Jules Michelet schrieb 1847
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