Die 50 Groessten Luegen Und Legenden Der Weltgeschichte
erwiesen, der 1994 gefasst wurde und sich wegen der Erschießung italienischer Geiseln während des Krieges vor einem italienischen Gericht verantworten musste. Priebke war Ende der Vierzigerjahre nach Argentinien geflüchtet und hatte dort bis in die Neunzigerjahre unbehelligt leben können.
Bis heute hat sich in Europa die Vorstellung gehalten, das südamerikanische Land habe nach 1945 unzähligen deutschen Nazis Zuflucht geboten, damit sie der Verfolgung durch die Besatzungsmächte und später den Gerichten der Bundesrepublik und der DDR entgehen konnten. Berüchtigt ist die angebliche »Organisation der ehemaligen SS-Angehörigen« Odessa, die Nazis die Flucht in das Argentinien Peróns ermöglicht habe, das als nazifreundlich galt. Dass diese Organisation wirklich existiert hat, ist ohne Beweis geblieben – in jedem Fall wäre sie erheblich weniger einflussreich und umfassend gewesen, als ihr gern zugeschrieben wurde. Ebenso besagt das historische Gedächtnis, die deutsche Volksgruppe in Argentinien sei während der Zeit des Nationalsozialismus ganz überwiegend auf strammem NS-Kurs gewesen. Deutsche in Argentinien sind Altnazis oder deren Nachfahren, so lautet eine verbreitete Überzeugung. Aber ist das wirklich eine zutreffende Einschätzung?
Zunächst hat die deutsche Einwanderung in Argentinien nicht erst 1945 begonnen. Seit Ende des 19. Jahrhunderts entschloss sich eine größere Zahl Deutscher, sich in Argentinien eine neue Existenz aufzubauen. Dadurch und wegen intensiver Wirtschaftsbeziehungen waren seither die Kontakte zwischen Deutschland und Argentinien besonders umfassend. Deutschland bezog landwirtschaftliche Produkte aus Argentinien undexportierte deutsche Industrie. Vor dem Ersten Weltkrieg rangierte Deutschland als zweitwichtigster Handelspartner Argentiniens gleich nach Großbritannien. Für Deutschland war Argentinien neben Brasilien der zweite maßgebliche Wirtschaftspartner in Lateinamerika. Auch zwischen den Kriegen florierten die Geschäfte zwischen beiden Ländern, bis sie nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges drastisch zurückgingen, obwohl Argentinien dem Deutschen Reich erst im März 1945 und nur unter Druck der USA den Krieg erklärte.
Ähnlich verlief die deutsche Einwanderung: Sie blühte Ende des 19. Jahrhunderts auf, wurde durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen und setzte danach wieder ein. In den Dreißigerjahren gab es tatsächlich auch in Argentinien eine Niederlassung der NSDAP – allerdings war der Zuspruch der Deutsch-Argentinier ausgesprochen mäßig. In den Zeitungen war zwar von Mitgliedszahlen die Rede, die der Hälfte der Reichsdeutschen in Argentinien entsprachen, aber dafür existieren keinerlei Belege. In Wirklichkeit waren nicht einmal fünf Prozent Parteimitglied, eine »fünfte Kolonne« Hitler-Deutschlands in Argentinien gab es nicht. Andere NS-Organisationen hatten zwar mehr Zulauf, aber von einem »gleichgeschalteten Deutschtum« kann in Argentinien keinesfalls die Rede sein, auch wenn die NSDAP-Auslandsorganisation dort Propaganda betrieb – bis sie nach der »Patagonien-Affäre«, in der mithilfe gefälschter Dokumente die bevorstehende deutsche Annexion Patagoniens suggeriert wurde, 1939 ihre Arbeit in Argentinien einstellen musste.
In den Dreißigerjahren war Argentinien aber auch ein Zufluchtsland für deutsche Emigranten. Knapp 50
000 deutsche Juden und viele nichtjüdische Regimegegner wanderten dorthin aus, und Buenos Aires wurde zu einem Zentrum des antifaschistischen Widerstands.
Nach 1945 flüchteten in der Tat viele Nazis aus Deutschland,aber auch italienische Faschisten nach Argentinien. Nicht immer stand dabei die drohende Strafverfolgung im Vordergrund. Diese illegale Emigration hatte häufig wirtschaftliche, berufliche oder persönliche Gründe. Gesuchte Spezialisten und Wissenschaftler warb Argentinien gezielt an und half bei der illegalen Auswanderung. Die legale Auswanderung kam wegen eines alliierten Verbots erst nach Gründung der Bundesrepublik wieder in Gang. Sie lag durchaus im Interesse Argentiniens – 1951 bot Staatspräsident Perón sogar die Aufnahme von zwei bis drei Millionen Deutschen an und stellte Schiffe in Aussicht, die die Einwanderer abholen sollten. Diese Zahl wurde jedoch nicht erreicht – während Argentinien in eine Wirtschaftskrise geriet, bahnte sich in Deutschland das »Wirtschaftswunder« an.
Verglichen mit der Gesamtzahl deutscher Einwanderer in Argentinien nimmt sich die Zahl der geflohenen
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