Die 500 (German Edition)
Beziehung als ge nau so entgegenkommend, wie Marcus vorausgesagt hatte. Bis jetzt war der Trip allerdings vor allem Spiel und Spaß ge wesen. Wir wohnten in einem Gästehaus in einem alten Fischerhafen, den reiche ausgewanderte Europäer in eine Art Vergnügungsstadt verwandelt hatten.
Nach einem Jahr bei Davies mit neunzig Arbeitsstunden pro Woche kamen mir Erholung und Freizeit fast gespenstisch vor. Ich vermutete zweierlei: Erstens, Henry wollte mich friedlich stimmen wegen der Chaosnacht mit Walker (mich runterbringen, sozusagen), und zweitens, der Spaß würde nicht lange andauern.
Bis jetzt war das Schwierigste für mich gewesen, Rados Tochter Irin aus dem Weg zu gehen. Sie war mit vier ihrer glamourösen Freundinnen im Schlepptau einen Tag nach unserer Ankunft aufgekreuzt. Ich hatte sie schon einmal kurz gesehen, auf Chips Party, in jener verrückten Nacht mit Walker in der Methhöhle. Sie war das Mädchen gewesen, mit der er sich über Unis unterhalten hatte. Sie war zwanzig oder einundzwanzig. Anscheinend hatte sie zwei Jahre in Georgetown studiert und nahm sich gerade eine kleine Auszeit als Paris Hilton vom Balkan, bevor sie in Yale, Brown oder Stanford ihren Abschluss machte.
Klar, sie hatte was auf dem Kasten. Aber als Erstes fiel einem auf, dass sie und ihre Clique Partygirls waren – große Sonnenbrillen, Designerklamotten, die Zigarette zwischen spitzen Fingern, diese typische Ihr-könnt-mich-alle-mal-Attitüde von jungen Leuten. Irin war eindeutig die Anführerin der Truppe. Ich glaube, das Etikett »Luder« trifft’s ziemlich genau. Sie war der Typ mediterrane Verführerin, sehr sexy, kurvig, dunkle Augen. Sie war nicht die makelloseste Schönheit, die mir je untergekommen war, aber diese trashig-kaputte Mach-mich-fertig-Masche hatte sie perfekt drauf. Ihre wichtigste Waffe war ihr Gesicht, sehr attraktiv natürlich, volle Lippen und Mandelaugen, aber was noch wichtiger war – sie hatte diesen Blick. Stellen Sie sich den Blick einer Frau nach ein paar Gläsern Wein und einem netten Abendessen vor. Ein Schlafzimmerblick, der sagt: Hol mich hier raus und geh mit mir ins Bett. Diesen Blick hatte sie dauernd, immer und überall. Das war ihr alltäglicher Gesichtsausdruck. Sehr verwirrend.
Eines Tages am Strand nahm sie mich ins Visier. Sie hatte mich gefragt, was ich machte und was ich mit ihrem Vater zu tun hätte. »Arbeiten Sie direkt mit Henry Davies zusammen?«
Ich hatte den Eindruck, als wollte sie herausfinden, ob ich eine große Nummer war. Sie trug ein Bikinioberteil, abgeschnittene Jeans und saß sehr dicht neben mir. Gelegentlich beugte sie sich zur Seite, um eine Mücke zu verscheuchen, wobei ihre Brüste leicht meine Schulter berührten. Alles in allem eine sehr überzeugende Vorstellung. Das Mädchen war scharf, kein Zweifel, ihre Augen waren wie Laser, die mein Bewusstsein zersetzten. Aber durch meine Arbeit für die Davies Group wusste ich Bescheid über neugierige Frauen mit großen Titten, und so tat ich mein Bestes, um sie mir vom Leib zu halten. Mit Desinteresse war es allerdings nicht getan. Sie hatte das ganze Repertoire aus dem Film-noir-Führer für Flittchen drauf. Nach ein paar Minuten Geplänkel schaute sie mir in die Augen. »Haben Sie Angst vor bösen Mädchen?«
»Höllisch«, sagte ich und wandte mich wieder meiner Strandlektüre zu ( Über die Beeinflussung von staatlichen Aufsichtsbehörden , rasend interessant). Sie stand auf, trat ein paar Schritte zurück, wobei sie mich immer noch mit diesem Schlafzimmerblick anschaute, drehte sich dann um und ging. Sicher würde sie das schattige Ende des Strandes aufmischen können.
Fast wäre es komisch gewesen, ja liebenswert, wie viel Spaß das Mädchen an ihrer neu entdeckten Macht hatte: dass man Sex selbst bei Männern mit eherner Selbstbeherrschung wie ein Stemmeisen einsetzen konnte. Außer dass sie nicht den Eindruck einer verspielten Lolita machte. Sie hatte das routinierte Selbstbewusstsein einer Kurtisane.
Aber wer bin ich eigentlich, dass ich das Maul aufreißen dürfte? Ich musste brav auf der Strandmauer sitzen bleiben, lesend einen auf nonchalant machen und darauf warten, dass mein verräterischer Ständer endlich jede Hoffnung fahren ließ.
Zwei von Rados Untergebenen hatte ich schon in D C kennengelernt – Miroslav und Aleksandar. Da die beiden dem durchschnittlichen, billigen Schlägertyp entsprachen, war ich angenehm überrascht, dass Rado Klasse hatte. Er trug immer elegante maßgeschneiderte
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