Die 500 (German Edition)
mich in der Methhöhle erwarten würde. Dafür gab es mehrere mögliche Erklärungen. Walker glauben zu machen, dass er und ich zusammen in die Sache verwickelt waren: das ergab Sinn. Mich auszutesten, zu schikanieren: möglich. Aber meine Gedanken kreisten immer wieder um Geld, Ideologie, Ego, Repression und darum, wie zugeknöpft Marcus reagiert hatte, als ich beim Punkt R – Repression – nachgefragt hatte, was er gegen mich in der Hand hatte. Ein Nebeneffekt der aberwitzigen Nacht war der, dass er nun ein ziemlich wirkungsvolles Druckmittel in der Hand hatte.
Die ganze Geschichte hatte einen üblen Beigeschmack. Als ich Gould wegen seines Doggybag-Schmiergelds festgenagelt hatte, ging es ausschließlich darum, jemanden zu schnappen, der nichts Gutes im Schilde führte, ihn dazu zu bringen, damit Schluss zu machen, und ein bisschen gute Politik ins System sickern zu lassen. Aber wie mühelos Marcus heute Nacht das Recht gebeugt hatte, war beunruhigend (wobei ich zugeben muss, dass ich natürlich froh war, dass er es beugte, um mich aus dem Knast zu holen). Es kam mir vor, als wäre ich nicht nur zum Stillhalten ermuntert worden, sondern dazu, Walker in seinem selbstzerstörerischen Tun zu bestärken, damit Marcus und Davies sich dann wieder einschalten und Profit daraus schlagen konnten.
Marcus’ Geschichte war einfach zu glatt. Er wusste, dass Walker die Sau rauslassen würde, er wusste, dass die Bullen sich Squeak schnappen wollten. Alles passte zufälligerweise exakt zu den Zielen der Davies Group. Ich weiß nicht, ob Marcus die Polizei gerufen hat, aber für mein Gefühl war das ein Zufall zu viel. Ich wusste, dass es zum Job gehörte, mit harten Bandagen zu kämpfen, dass man sich gelegentlich auch mal die Nase zuhalten musste, wenn man einen Deal abschloss. Aber allmählich begann ich mich zu fragen, wie weit meine Bosse gehen würden, um das zu bekommen, was sie wollten, und ob in den Warnungen meines Vaters nicht vielleicht doch ein Körnchen Wahrheit steckte.
Vor dem Büro bedankte ich mich bei Marcus für die Mitfahrgelegenheit und stieg in meinen eigenen Wagen. Während ich zu dem kleinen Traumhaus zurückfuhr, das ich meinem Job zu verdanken hatte, schob ich meine Befürchtungen beiseite. Ich war vollkommen erledigt, und in meinem Kopf ging es nach der Katastrophennacht immer noch drunter und drüber. Die Geschichte bestätigte nur, was mir jeder über D C erzählt hatte. Wenn du einen Freund suchst, besorge dir einen Hund, und amüsiere dich nie auf einer Party – vor allem dann nicht, wenn jemand aus der Davies Group in der Nähe ist.
9
T rotzdem steckte ich noch immer in der Klemme, schließlich hatte ich mich Annie noch nicht gestellt. Auf dem Rückweg aus Maryland ließ ich die Minutenanzeige der Uhr nicht aus den Augen, als wäre sie eine Bombe: Um 6 Uhr 30 würde Annies Wecker klingeln.
Wenn ich es rechtzeitig bis nach Hause schaffte, konnte ich mich noch schnell duschen und ins Bett schlüpfen, als wenn nichts gewesen wäre. Aber das wurde immer unwahrscheinlicher. Als Marcus und ich um sechs in DC auf die I-270 fuhren, herrschte schon dichter Berufsverkehr. Als ich dann vor dem Büro in Georgetown in meinen Wagen stieg, konnte ich nur noch beten, dass sie verschlafen hatte.
Um halb sieben war die Connecticut Avenue ein einziger Parkplatz. Um jetzt noch davonzukommen, müsste sie schon mindestens zweimal die Schlummertaste gedrückt haben und trotzdem noch sehr tief schlafen, damit ihr meine Abwesenheit nicht auffiel.
Ich weiß nicht, warum ich mir überhaupt den Kopf darüber zerbrach. Es war schon sieben, als ich zu Hause ankam. Alles war verloren. Annie war jetzt sicher schon auf dem Sprung.
Ich schaltete auf Schadensbegrenzung um, aber mein Hirn war zu matschig, um noch eine gute Ausrede zu produzieren. Ich würde sie nicht anlügen, aber auch nicht mit der ganzen Wahrheit herausrücken: Ich musste Walker bespaßen, Auftrag von oben, und der war eben die ganze Nacht um die Häuser gezogen. Ich würde gestehen und die verdiente Strafe absitzen. Ein paar Tage mit einer schmollenden Annie waren nichts, verglichen mit den Dellen, die mir die Nacht zugefügt hatte. Ich würde es überleben.
Nur dass Annie offensichtlich mein kleineres Problem war. Auf meiner Veranda, in meinem Schaukelstuhl, mit meiner Zeitung saß nämlich niemand anders als Sir Lawrence Clark.
Ich sagte Hallo.
Er sagte nichts, er lächelte nur. Er hatte einen guten Platz für die Kreuzigung
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