Die 6. Geisel - Thriller
Lachfältchen, die von seinen Mundwinkeln ausstrahlten. Er wirkte glaubwürdig und selbstsicher, und ich vertraute ihm auf Anhieb.
»Untersuchen Sie den Amoklauf auf der Fähre?«, fragte er mich.
Ich nickte. »Ja, und außerdem ist Claire eine Freundin von mir.«
»Sie ist auch meine Freundin.« Er lächelte. »Also, Folgendes kann ich Ihnen sagen: Die Kugel hat eine Rippe durchschlagen und den linken Lungenflügel kollabieren lassen, aber sie hat das Herz und die großen Arterien verfehlt.
Die kaputte Rippe wird Claire einige Schmerzen bereiten, und sie wird eine Thoraxdrainage brauchen, bis der Lungenflügel sich wieder vollständig ausgedehnt hat. Aber sie ist gesund, und sie hat Glück gehabt. Und sie hat hier gute Leute, die auf sie Acht geben.«
Die Tränen, die ich den ganzen Tag über zurückgehalten hatte, drohten über die Ufer zu treten. Ich senkte den Blick und krächzte: »Ich würde gerne mit ihr sprechen. Der Mann, der auf Claire geschossen hat, hat drei Menschenleben auf dem Gewissen.«
»Sie wird bald aufwachen«, sagte Sassoon. Er tätschelte meine Schulter und hielt die Tür zu Claires Zimmer auf. Ich ging hinein.
Das Kopfteil von Claires Bett war hochgestellt, um ihr das Atmen zu erleichtern. Sie hatte eine Kanüle in der Nase, und aus einem Infusionsbeutel, der an einem Ständer hing, sickerte
Kochsalzlösung in eine Vene. Unter dem dünnen OP-Hemd war ihre Brust mit dicken Verbänden bedeckt. Ihre Augen waren geschlossen, die Lider aufgequollen. In all den Jahren, die ich Claire nun schon kannte, hatte ich sie noch nie krank gesehen. Ich hatte sie nie so hilflos gesehen.
Edmund, Claires Mann, sprang sofort von dem Sessel auf, in dem er gesessen hatte, als ich ins Zimmer trat.
Er sah fürchterlich aus. Angst und ungläubiges Entsetzen verzerrten seine Züge.
Ich stellte meine Einkaufstüte ab, ging auf ihn zu und drückte ihn lange.
»O Gott, Lindsay, das ist einfach zu viel«, murmelte er in meine Haare.
Ich sagte all die Dinge, die man so sagt, wenn Worte ganz einfach nicht ausreichen. »Sie wird bald wieder auf den Beinen sein, Eddie. Du weißt, dass ich recht habe.«
»Ich habe so meine Zweifel«, meinte Edmund, als wir uns schließlich voneinander lösten. »Selbst angenommen, dass alles gut verheilt - hast du etwa die Schüsse auf dich schon ganz verarbeitet?«
Ich konnte ihm keine Antwort geben. Tatsächlich kam es immer noch vor, dass ich mitten in der Nacht schweißgebadet aufwachte. Dann wusste ich, dass ich wieder einmal von dieser schlimmen Nacht in der Larkin Street geträumt hatte. Ich konnte den Einschlag der Kugeln noch spüren, und die Erinnerung an diese Hilflosigkeit, an das Gefühl, vielleicht sterben zu müssen, war noch immer lebendig.
»Und was ist mit Willie?«, fragte Edmund. »Seine ganze Welt ist heute Morgen auf den Kopf gestellt worden. Warte, ich helf dir.«
Edmund hielt die Einkaufstüte auf, sodass ich den großen silbernen Ballon mit der Aufschrift »Gute Besserung« herausziehen konnte. Ich band den Ballon an den Rahmen von Claires Bett, dann beugte ich mich über sie und berührte ihre Hand. »Hat sie irgendetwas gesagt?«, fragte ich.
»Sie hat für ein paar Sekunden die Augen aufgemacht. ›Wo ist Willie?‹, hat sie gefragt. ›Er ist zu Hause. In Sicherheit‹, hab ich ihr gesagt. ›Ich muss wieder in die Arbeit‹, hat sie noch gesagt, und dann war sie weg. Das war vor einer halben Stunde.«
Ich versuchte mich zu erinnern, wann ich Claire vor der Schießerei das letzte Mal gesehen hatte. Gestern. Wir hatten uns nach Dienstschluss auf dem Parkplatz gegenüber vom Präsidium zum Abschied zugewinkt. Nur eine beiläufige Handbewegung.
»Bis dann, mein Mädel.«
»Schönen Feierabend, Butterfly.«
So alltägliche Worte. Als ob das Leben eine Selbstverständlichkeit wäre. Was, wenn Claire heute gestorben wäre? Was, wenn wir sie verloren hätten?
9
Ich drückte Claires Hand, während Edmund zu seinem Sessel zurückging und mit der Fernbedienung den Fernsehapparat oben an der Wand einschaltete. Er stellte den Ton leise und fragte: »Du hast das schon gesehen, Lindsay?«
Ich blickte auf und sah den Warnhinweis: »Die folgenden Aufnahmen sind sehr drastisch und sollten von Kindern und Jugendlichen nur unter elterlicher Aufsicht gesehen werden.«
»Ich habe es gleich nach dem Amoklauf gesehen«, erklärte ich Edmund, »aber ich würde es gerne noch einmal sehen.«
Edmund nickte und sagte: »Ich auch.«
Und dann flimmerte Jack Rooneys
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