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Die Abaddon-Mission (German Edition)

Die Abaddon-Mission (German Edition)

Titel: Die Abaddon-Mission (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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mit t lerweile geworden war.
    Er zerstörte sogar bereitwillig die Illusion ve r meintlicher Zeitlosigkeit, indem er die Tage zu zä h len begann, die seit dem ›Verlust‹ des Manuskripts ve r gangen waren. Länger als zwei W o chen hatte es doch damals nicht gedauert, oder?
    Manchmal wachte er morgens auf und dachte: Heute ist der Tag! Aber dann war er es doch nicht, und mit jeder En t täuschung wuchs die Verunsich e rung des alten Ma n nes.
    Die Tage vergingen, reihten sich zu Wochen und Mon a ten, ohne daß die Hoffnungen des traurigen Dichters eing e löst wurden. Am einhundertfünfzi g sten Tag faßte er den En t schluß, nicht mehr weite r zuzählen, aber das Uhrwerk in se i nem Hirn ließ sich ebensowenig auf Befehl abstellen wie se i ne Hof f nungen und Wünsche.
    Am einhundertzweiundsiebzigsten Tag betrank er sich zum ersten Mal bis zur Bewußtlosigkeit. Kop f schmerz und Übe l keit kurierten ihn zwar kurzzeitig, gerieten aber in Vergesse n heit, wenn der Dichter wieder einmal den ganzen Abend über auf den le e ren Bildschirm seines Computers gestarrt hatte, ohne eine einzige Zeile zuwege zu bringen.
    Für wen schrieb er überhaupt noch? Für das halbe Du t zend potentieller Interessenten unter den Kolon i sten? Oder gar für die Menschen auf der Erde, die nun schon seit Jah r zehnten eifrig damit beschäftigt waren, die eigene Kultur au s zulöschen? Nein, es lohnte nicht, sich länger etwas vorzum a chen: Ni e mand brauchte seine Geschichten wirklich. Ni e mand außer ihm selbst ...
    Das Erlebnis mit dem Puppenmacher hatte eine Wunschvorstellung genährt, die wohl jedem Schrif t steller ve r traut war: den Traum von einer Existenz innerhalb der eig e nen Schö p fung.
    Wenn sich der Dichter zurücklehnte und die A u gen schloß, sah er sie ganz deutlich vor sich, die Stadt am Fluß, in der er aufgewachsen war. Und natürlich Lara, die nie einen Tag älter als siebzehn Jahre sein würde. Wie oft hatte er sich gewünscht, ihr noch einmal zu begegnen – an jenen altve r trauten Orten, die in seiner Vorstellung längst den Zwängen der Realität en t rückt waren.
    Aber das würde wohl ein Traum bleiben, jetzt, da das E x periment gescheitert war. Seine Hoffnungen ruhten irgendwo am Grunde des Sandmeeres, dessen Schweigen nur eines b e deuten konnte: Es wird nie mehr sein ...
    Am einhundertneunzigsten Tag seiner neuen Zei t rechnung verzichtete der traurige Dichter zum ersten Mal auf den g e wohnten Strandspaziergang. Da er aufgehört hatte zu schre i ben, machte die Einhaltung damit verbundener Rituale ke i nen Sinn mehr. Wenn das Meer nichts mit ihm zu schaffen haben wollte, dann war es wohl das klügste, es ebenfalls zu ign o rieren. Er hatte jedenfalls nicht vor, sich vor ihm zu d e mütigen. Außerdem blieben ihm ja noch die So n nenblumen, die seiner Zuwendung bedurften. Besa g te Zuwendung b e schränkte sich allerdings zune h mend darauf, daß er die Tage in ihrer Gesellschaft verdämmern ließ, ohne sich zu einer sinnvollen A k tivität durchringen zu kö n nen.
    Er aß kaum noch, trank dafür um so mehr. Der a l te Mann hatte festgestellt, daß ihm geringere Me n gen Alkohol, über den ganzen Tag verteilt, weitaus besser bekamen als gelegen t liche aben d liche Exze s se.
    Immer mehr Zeit verbrachte der Dichter im Bett oder Li e gestuhl und träumte von Dingen, die gew e sen waren, und anderen, die hätten sein können. Den Wechsel zwischen Tag und Nacht nahm er nur noch beiläufig zur Kenntnis. Er schlief, wenn ihm die Augen zufielen, aß und trank, wenn er das B e dürfnis dazu verspürte.
    Du richtest dich zugrunde , beklagte sich eines Abends eine besorgte Sti m me, die gewiß nicht die des Meeres war.
    Irrtum , antwortete der traurige Dichter in Geda n ken. Ich sorge höchstens dafür, daß es aufhört.
    Du wirst sterben, beharrte die Stimme und klang ein wenig ängs t lich dabei.
    »Na und? Das trifft jeden«, murmelte der alte Mann und goß sich ein neues Glas ein. »Lara ist nun schon seit siebzig Jahren tot.«
    Was hat das mit ...
    »Laß mich ausreden!« Der Dichter hob die Sti m me, o b wohl er nach wie vor allein im Raum war. »Sie ist nicht we g gegangen, damals. Das weißt du genaus o gut wie ich. Ich habe sie umg e bracht.«
    So etwas darfst du nicht sagen. Es war ein Unfall ...
    »Mag sein – aber was ändert das schon?«
    Die Stimme schwieg.
    Na also , dachte der Dichter und trank das Glas mit einem Zug leer. Plötzlich fiel ihm etwas ein – etwas, das so wichtig war, daß er

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