Die Abaddon-Mission (German Edition)
die sie einst geschaffen hatte, tatsächlich zugrunde gega n gen und hatte sie dem Verfall preisgegeben. Vielleicht war aber auch etwas anderes geschehen – etwas, das so weit je n seits des menschlichen Vorstellungsverm ö gens lag, daß jeder Versuch einer rationalen Erkl ä rung scheitern mußte. Der Dichter war sich darüber klar, daß es nicht den Schatten e i nes Beweises für seine Theorie gab. Alles, was er besaß, waren vage Hinweise und das unheimliche Gefühl, daß das San d meer auf irgendeine Weise lebte und intelligent war. Wenn er recht hatte, dann mußte es unendlich alt sein, nicht Tause n de, sondern viele Millionen Jahre. Und genau so unendlich mußte seine Geduld sein, es sei denn, es lebte außerhalb der Zeit. Vie l leicht war es ihm gelungen, das zu erreichen, wovon der alte Mann träumte: eine Existenz jenseits von Vergange n heit und Zukunft – einen A n kerplatz im Strom der Zeit ...
Der Dichter bückte sich, hob einen kleinen Fel s brocken auf und schleuderte ihn hinaus aufs Meer. Der Stein schlug beim Aufprall ein kleine Kuhle in den Sand und blieb dann liegen, wie es zu erwarten gewesen war. Aber bald würde er nicht mehr dasein, vielleicht schon, wenn er auf dem Rüc k weg wieder hier vorbeikam. Das Eigentümliche an diesem Ph ä nomen war der Umstand, daß es ihm trotz unzähl i ger Versuche nie gelungen war, das Meer dabei zu beobachten, wie es den jeweiligen Gegenstand ve r schwinden ließ. Nach seinen Erfahrungen versanken die betreffenden Fremdkörper nicht etwa kontinuie r lich, sondern erst nach einer bestim m ten Zeitspanne und – wie er vermutete – sehr schnell. Beo b achtet hatte er diesen Vorgang allerdings noch nie. De n noch ging der Dichter nicht davon aus, daß die R e aktionen des Meeres etwas mit seiner Anwesenheit zu tun hatten, auch wenn sich ihm mitunter der Ei n druck aufdrängte, daß es ihn zum Narren hielt.
Wahrscheinlich handelte es sich eher um einen Schutzm e chanismus, der erst nach eingehender An a lyse des »Störfa k tors« zur Wirkung kam. Dafür sprach auch, daß Menschen generell unbehelligt blieben, selbst wenn sie sich tagelang in seinem Ei n flußbereich aufhielten. Vielleicht unterlagen b e wu ß te Lebensformen einem besonderem Schutz? Tats a che blieb, daß unbelebte Gegenstände nach einer gewissen Verz ö gerung von der Oberfläche des Sandmeeres verschwanden. Wie das geschah, und was letztlich aus ihnen wurde, darüber konnte er nur Vermutungen anstellen. War es bei Steinen oder Metallkörpern noch denkbar, daß sie durch ihr E i ge n gewicht versanken, wenn sich die Fließeige n schaften des Sa n des änderten, so schied diese Mö g lichkeit bei Gegenständen mit geringerer Dichte aus. Und doch waren auch schon Kle i dungsstücke, Handschuhe oder Schutzbrillen verschwunden: Di n ge, die gar nicht versinken konnten . Das Meer hielt seine Oberfläche sauber wie ein pedantischer Par k hüter den ihm anvertrauten Rasen. Gewiß hatte es sich auch der fliegenden Blätter angenommen, die ihm der Wind neulich aus den Händen gerissen hatte ...
Das Manuskript! Der Dichter schlug sich gegen die Stirn. Das war es!
Die Erleichterung war stärker als sein Ärger über die eig e ne Begriffsstutzigkeit. Nein, er war nicht wahnsinnig, und er litt auch nicht unter Wahrne h mungsstörungen. Er hatte die Szene gestern tatsäc h lich so erlebt – eine Szene, die exakt dort abbrach, wo auch das verlorengegangene Manuskript geendet hatte.
Das Meer! ... sein Gefühl hatte ihn nicht getrogen ...
Es dauerte ein wenig, bis sich der alte Mann so weit gefaßt hatte, daß er seine Wanderung fortsetzen konnte. Mech a nisch, fast wie in Trance, setzte er einen Schritt vor den and e ren, während seine G e danken beinahe zwanghaft zu jener Szene zurüc k kehrten, deren Urheber er nun zu kennen glaubte.
Noch am gleichen Abend entschloß sich der tra u rige Dichter, das Meer auf die Probe zu stellen. Die Ve r suchung war stärker als die Furcht vor einem Feh l schlag. Im schlim m sten Fall riskierte er, daß es ihn ignorierte. Dann würde er wohl nie erfahren, ob se i ne Schlußfolg e rungen richtig waren.
Und wenn es die Herausforderung annahm?
Solange er noch nicht einmal einen Köder ausg e legt hatte, blieb die Frage rein hypothetisch. Über das ›Wie‹ brauchte er sich nicht mehr den Kopf zu zerbrechen, wohl aber über das ›Was‹, schließlich ha n delte es sich dabei um eine Entsche i dung von ein i ger Tragweite.
Es war bereits dunkel, als der
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