Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk
Wieder fallen Soldaten. Ein Schwarm will zu den feindlichen Maschinengewehren gelangen. Sie fallen. Aber die Kameraden sind bereits vorn. Hurra! Ein Offizier fällt. Man hört nicht mehr die Infanteriegewehre, etwas Furchtbares bereitet sich vor. Wieder fällt ein ganzer Schwarm, und man hört die feindlichen Maschinengewehre: Ratatata. Da fällt … Ich, verzeihn Sie, ich kann nicht mehr weiter, ich bin betrunken …«
Und der Offizier mit dem wunden Fuß verstummte und blieb stumpf auf dem Stuhl sitzen. Oberst Schröder lächelte huldvoll und hörte zu, wie ihm gegenüber Hauptmann Spira mit der Faust auf den Tisch schlug, als wollte er einen Streit beginnen, wobei er etwas wiederholte, was keinen Sinn hatte und woraus absolut nicht hervorging, was es eigentlich bedeuten sollte und was er damit sagen wollte: »Überlegen Sie gut, bitte! Wir haben österreichische Landwehrulanen unter den Waffen, österreichische Landwehrmänner, bosnische Jäger, österreichische Jäger, österreichische Infanteristen, ungarische Infanteristen, Tiroler Kaiserschützen, bosnische Infanteristen, magyarische Honvédinfanterie, ungarische Husaren, Landwehrhusaren, berittene Jäger, Dragoner, Artilleristen, den Train, Pioniere, die Sanität, Matrosen. Verstehn Sie? Und Belgien? Das erste und zweite Aufgebot der Armee bildet die Operationsarmee, das dritte Aufgebot versieht den Dienst in ihrem Rücken …«
Hauptmann Spira schlug mit der Faust auf den Tisch. »Die Landwehr versieht den Dienst im Lande in der Friedenszeit.«
Ein junger Offizier neben ihm war eifrig bemüht, den Oberst von seiner militärischen Härte zu überzeugen, und sagte sehr laut zu seinem Nachbarn: »Tuberkulöse Menschen muß man an die Front schicken, es tut ihnen gut, und dann ist es besser, es fallen Kranke als Gesunde.«
Der Oberst lächelte. Aber plötzlich wurde er traurig, wandte sich an Major Wenzl und sagte: »Mich wundert, daß uns Oberleutnant Lukasch meidet; seit er angekommen ist, ist er noch nicht einmal in unsere Gesellschaft gekommen.«
|322| »Er schreibt Gedichte«, ließ sich Hauptmann Sagner höhnisch vernehmen, »kaum ist er angekommen, hat er sich in Frau Ingenieur Schreiter verliebt, die er im Theater kennengelernt hat.«
Der Oberst blickte düster vor sich hin. »Er kann angeblich Couplets singen?«
»Schon in der Kadettenschule hat er uns sehr gut mit Couplets unterhalten«, erwiderte Hauptmann Sagner, »und Anekdoten kennt er, ein Vergnügen, sag ich euch. Warum er nicht in unsere Gesellschaft kommt, weiß ich nicht.«
Der Oberst schüttelte traurig den Kopf. »Heutzutage besteht keine wahre Kameradschaft mehr unter uns. Ich erinner mich, wie sich früher jeder von uns Offizieren bemüht hat, im Kasino mit irgend etwas zur Unterhaltung beizutragen. Einer, ich erinner mich ganz genau, ein gewisser Oberleutnant Dankl, hat sich nackt ausgezogen, hat sich auf den Fußboden gelegt, hat sich den Schwanz von einem Hering in den Hintern gesteckt und eine Meerjungfrau gespielt. Ein anderer, Leutnant Schleißner, konnte die Ohren spitzen und wiehern wie ein Hengst, das Miauen einer Katze und das Summen einer Hummel nachmachen. Ich erinner mich auch an Hauptmann Skoday. Der hat immer, wann wir wollten, Weiber ins Kasino gebracht, es waren drei Schwestern, und er hat sie dressiert gehabt wie Hunde. Er hat sie auf den Tisch gestellt, und sie haben sich vor uns im Takt ausgezogen. Er hat einen kleinen Taktstock gehabt, und alle Ehre, er war ein ausgezeichneter Kapellmeister. Und was er mit ihnen am Kanapee aufgeführt hat! Einmal hat er eine Wanne mit warmem Wasser mitten ins Zimmer bringen lassen, und wir haben einer nach dem anderen mit den Mädeln baden müssen, und er hat uns photographiert.«
Bei dieser Erinnerung lächelte Oberst Schröder glückselig.
»Und was für Wetten wir in der Wanne abgeschlossen haben«, fuhr er widerlich schmatzend auf dem Stuhl hin- und herrückend fort, »aber heutzutage? Ist das eine Unterhaltung? Nicht mal dieser Coupletsänger zeigt sich. Nicht mal trinken können heutzutage die jungen Offiziere. Es ist noch nicht |323| zwölf Uhr, und wie Sie sehn, sind schon fünf Betrunkene am Tisch. Es hat Zeiten gegeben, wo wir zwei Tage gesessen sind, und je mehr wir getrunken haben, desto nüchterner waren wir, und dabei haben wir ununterbrochen Bier, Wein, Likör in uns hineingegossen. Heutzutage gibts keinen wahren militärischen Geist mehr. Weiß der Teufel, was die Ursache ist. Kein Witz, nur lauter solche
Weitere Kostenlose Bücher