Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk
daß er immer die Sehnsucht hat, irgendwohin in die Ferne zu verschwinden. Daß er einmal in Hamburg aufgekommen is und ein andres Mal wieder in London und daß er nicht gewußt hat, wie er hingekommen is. Daß der Vater Alkoholiker war und durch Selbstmord vor seiner Geburt gestorben is, daß die Mutter Prostituierte war und getrunken hat und an Delirium gestorben is. Daß die jüngere Schwester sich ertränkt hat, daß die ältere sich untern Zug geworfen hat, daß der Bruder am Wyschehrad von der Eisenbahnbrücke gesprungen is, daß der Großvater seine Frau ermordet hat und sich mit Petroleum begossen und angezündet hat, daß die zweite Großmutter sich mit Zigeunern herumgetrieben hat und sich im Gefängnis mit Streichhölzern vergiftet hat, daß ein Vetter von ihm paarmal wegen Brandstiftung verurteilt worden is und sich in Karthaus mit Stückchen Glas die Adern am Hals durchgeschnitten hat, daß sich eine Kusine väterlicherseits in Wien vom sechsten Stock heruntergeworfen hat, daß er selbst eine sehr vernachlässigte Erziehung hat und daß er bis zum zehnten Jahr nicht sprechen gekonnt hat, weil ihm im Alter von sechs Monaten, wie man ihn am Tisch überwickelt hat und weggegangen is, eine Katze vom Tisch gezogen hat und er sich beim Fallen den Kopf angehaut hat. Daß er auch von Zeit zu Zeit große Kopfschmerzen hat und in solchen Momenten nicht weiß, was er macht, und daß er in so einem Zustand auch von der Front |411| nach Prag gegangen is und erst, wie ihn die Militärpolizei beim ›Fleck‹ verhaftet hat, zu sich gekommen is. Freundeln, ihr hättet sehn solln, wie gern sie ihn vom Militär nach Haus geschickt ham, und ungefähr fünf Gemeine, was mit ihm im Zimmer gesessen sind, ham sichs für alle Fälle beiläufig so auf ein Stückl Papier geschrieben:
Vater Alkoholiker. Mutter Prostituierte.
I. Schwester (ertränkt)
II. Schwester (Zug)
Bruder (von der Brücke)
Großvater † Frau, Petroleum, angezündet
II. Großmutter (Zigeuner, Streichhölzeln), usw.
Und der eine, wie ers dem Stabsarzt vorzutragen angefangen hat, is nicht mal übern Vettern hinausgekommen, und weils schon der dritte Fall war, hat der Stabsarzt gesagt: ›Du Kerl, und deine Kusine väterlicherseits hat sich in Wien vom sechsten Stock heruntergeworfen, du hast eine schrecklich vernachlässigte Erziehung, und drum wird dich die Korrektion bessern.‹ So hat man ihn in die Korrektion geführt, hat ihn krummgeschlossen, und gleich is ihm die schrecklich vernachlässigte Erziehung und der alkoholische Vater und die prostituierte Mutter vergangen, und er hat sich lieber freiwillig an die Front gemeldet.«
»Heute«, sagte der Einjährigfreiwillige, »glaubt beim Militär niemand mehr an erbliche Belastung, weil man sonst alle Generalstäbe ins Irrenhaus sperren müßte.«
In der eisenbeschlagenen Tür rasselte ein Schlüssel, und der Profos trat ein. »Infanterist Schwejk und Sappeur Woditschka zum Herrn Auditor!«
Sie standen auf, und Woditschka sagte zu Schwejk: »Siehst du sie, die Halunken, jeden Tag ein Verhör und fort kein Ergebnis. Wenn sie uns schon, Himmelherrgott, lieber verurteilen möchten. So wälzen wir uns den ganzen Tag herum, und diese magyarischen Fallotten laufen herum …«
Auf dem Wege in die Kanzleien des Divisionsgerichtes, die |412| auf der andern Seite in einer andern Baracke untergebracht waren, erwogen Sappeur Woditschka und Schwejk, wann man sie eigentlich vor ein ordentliches Gericht stellen werde.
»Fort nur lauter Verhöre«, ärgerte sich Woditschka, »wenn wenigstens was herausschaun möcht. Sie verbrauchen einen Stoß Papier, und man bekommt das Gericht nicht mal zu sehn. Man verfault hinter den Gittern. Sag aufrichtig, is die Suppe zum Fressen? Und das Kraut mit den erfrorenen Erdäpfeln? Kruzifix, so einen blöden Weltkrieg hab ich noch nicht gefressen! Ich hab mir das ganz anders vorgestellt.«
»Ich bin ganz zufrieden«, sagte Schwejk, »noch vor Jahren, wie ich aktiv gedient hab, hat unser Kommißknopf Solpera gesagt, daß jeder sich beim Militär seiner Pflichten bewußt sein muß, und hat dir dabei so eine übers Maul gegeben, daß du dran nie vergessen hast. Oder der selige Oberlajtnant Kwajser, wenn der die Gewehre untersuchen gekommen is, so hat er uns immer erklärt, daß jeder Soldat die größte seelische Abhärtung zeigen soll, weil Soldaten nur Rindviecher sind, was der Staat füttert, denen er zu fressen, Kaffee zu trinken und Tabak in die Pfeifen gibt, wofür sie ziehen
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