Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk
ich kann Ihnen versichern, daß meiner Meinung nach Ihre Schuld nicht so groß ist, denn bei Ihrer geringen Intelligenz besteht kein Zweifel, daß Sie verleitet worden sind. Sagen Sie mir, Herr Schwejk, wer verleitet Sie eigentlich dazu, solche Dummheiten zu machen?«
Schwejk hustete und sagte: »Ich weiß, bitte, von keinen Dummheiten.«
»Und ist das keine Dummheit, Herr Schwejk«, hieß es in gekünstelt väterlichem Ton, »wenn Sie, nach Angabe des Polizisten, der Sie hergebracht hat, vor einem an der Straßenecke affichierten Kriegsmanifest einen Menschenauflauf hervorrufen und das Volk mit Ausrufen aufwiegeln, wie: ›Heil Kaiser Franz Josef, diesen Krieg gewinnen wir!‹«
»Ich konnt nicht untätig bleiben«, erklärte Schwejk, seine guten Augen auf das Antlitz des Inquisitors heftend, »ich war so aufgeregt, wie ich gesehn hab, daß alle das Kriegsmanifest lesen und keine Freude zeigen. Keine Hochrufe, kein Hurra, überhaupt nichts, Herr Rat. So wie wenns sie überhaupt nichts angehn möcht. Und da hab ich alter Soldat von den Einundneunzigern nicht mehr länger zuschaun können und hab diese Sätze ausgerufen, und ich denk, wenn Sie an meiner Stelle gewesen wären, daß Sie es gradso gemacht hätten wie ich. Wenn schon Krieg is, müssen wir ihn gewinnen, und man muß dem Kaiser Heil rufen, das wird mir keiner ausreden!«
Überwunden und zerknirscht ertrug das schwarzgelbe Raubtier nicht den Blick des unschuldigen Schäfchens Schwejk; es senkte die Augen auf die Gerichtsakten und sagte: »Ich anerkenne vollkommen Ihre Begeisterung, aber Sie hätten sie unter |49| andern Umständen bekunden müssen. Sie wissen selbst gut, daß ein Polizist Sie geführt hat, so daß so eine patriotische Kundgebung auf die Bevölkerung eher ironisch als ernsthaft wirken konnte und mußte.«
»Wenn jemanden ein Polizist führt«, entgegnete Schwejk, »is das ein schwerer Moment im Menschenleben. Aber wenn man nicht mal in so schweren Momenten vergißt, was sich zu tun gebührt, wenn Krieg is, so denk ich, dann is man kein schlechter Mensch.«
Das schwarzgelbe Raubtier knurrte und schaute Schwejk noch einmal in die Augen.
Schwejk antwortete mit der unschuldigen, weichen, bescheidenen und sanften Wärme seines Blickes.
Eine Zeitlang blickten einander die beiden unverwandt an.
»Hol Sie der Teufel, Schwejk«, sagte schließlich der Amtsbart, »wenn Sie noch einmal herkommen, werde ich Sie überhaupt nicht mehr ausfragen, und Sie werden direkt ins Militärgericht auf den Hradschin wandern. Haben Sie verstanden?«
Und eh er sichs versah, schritt Schwejk auf ihn zu, küßte ihm die Hand und sagte: »Vergelts Gott tausendmal. Wenn Sie mal ein Hunterl brauchen sollten, wenden Sie sich gefälligst an mich. Ich hab ein Geschäft mit Hunden.«
Und so befand sich Schwejk wieder in Freiheit und auf dem Weg zu seinem Heim.
Seine Erwägung, ob er sich zuerst beim »Kelch« aufhalten sollte, endete damit, daß er jene Türe öffnete, durch die er vor einiger Zeit in Begleitung des Detektivs Bretschneider geschritten war.
Im Ausschank herrschte Grabesstille. Es saßen dort einige Gäste, unter ihnen der Küster von der Apollinarkirche. Sie sahen bekümmert aus. Hinter dem Schanktisch saß die Wirtin Palivec und blickte stumpf auf die Bierhähne.
»Also da bin ich schon wieder«, sagte Schwejk lustig, »ge ben Sie mir ein Glas Bier. Wo hamr denn den Herrn Palivec, is er auch schon zu Haus?«
Statt einer Antwort begann die Palivec zu weinen. Sie stöhnte, und indem sie ihr Unglück in eine eigentümliche Betonung |50| jedes Wortes zusammenfaßte, hub sie an: »Sie – ham – ihm – zehn – Jahre – aufgebrummt – vor – einer Woche …«
»No also«, sagte Schwejk, »da hat er also schon sieben Tage hinter sich.«
»Er war so vorsichtig«, weinte die Palivec, »er hats selbst immer von sich behauptet.«
Die Gäste im Ausschank schwiegen hartnäckig, als gehe hier der Geist des Palivec um und mahne sie zu noch größerer Vorsicht.
»Vorsicht is die Mutter der Weisheit«, sagte Schwejk, während er sich an den Tisch zu einem Glas Bier setzte, in dessen Schaum sich kleine Löcher befanden, die durch die herabtropfenden Tränen der Frau Palivec entstanden waren, als sie Schwejk das Bier auf den Tisch getragen hatte, »heutzutage sind die Zeiten so, daß sie einen zur Vorsicht zwingen.«
»Gestern hamr zwei Begräbnisse gehabt«, lenkte der Küster von der Apollinarkirche das Gespräch auf ein anderes Geleise.
»Da is wohl
Weitere Kostenlose Bücher