Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)
aufgefüllt. Er würde nichts merken. Janna schlief viel. Ich sagte, wenn sie sich ruhig verhalte, könne sie bleiben. Sie aß Joghurt. Am Donnerstag fing die Uni an. Tagsüber waren wir allein und ungestört.
Am Freitag verließen wir zum ersten Mal das Haus. Die Welt kam uns draußen sehr hell vor. Die Sonne schien, es war ein schöner Frühlingstag, voll von linden Gerüchen und Vogelgezwitscher, wie damals, als ich mit Allegra auf dem Kahlenberg gewesen war. Janna ging auf zittrigen Beinen und war gleich außer Atem. Wenn sie blinzelte, war etwas Hübsches in ihrem Gesicht, in dem so wenig Farbe war wie in keinem Gesicht, das ich je gesehen hatte. Wir fuhren mit der Straßenbahn bis zum Burgtheater und spazierten durch den Volksgarten. Vor dem Theseustempel setzten wir uns auf die Stufen, und ich erzählte ihr, dass ich hier als Kind mit den Tauben lateinisch gesprochen hätte. Sie lachte fröhlich und übermütig. Sie würde sich gern ordentlich die Zähne putzen, sagte sie, am liebsten eine halbe Stunde lang. Ich sagte, mein Vater habe sich die Zähne mit Salz geputzt.
»Schmeckt das nicht grauslich?«, fragte sie.
»Salzig halt.«
»Und warum ist das ein Vorteil für die Zähne?«
»Das wirkt wie Schmirgelpapier, wenn man eine Autokarosserie lackiert.«
»Kannst du so etwas?«, fragte sie.
»Ja, ich bin gelernter Automechaniker.«
Am Abend war ich beim Sekretär des Erzbischofs eingeladen. Janna versprach mir in die Hand, dass sie im Zimmer bleiben werde. Als ich in der Nacht zurückkam, war sie nicht mehr da. Den Bonsai hatte sie mitgenommen.
5
Ich ging hinüber zum Arschloch. Die Haustür war offen. Ich wartete auf der Stiege über seiner Wohnung. Kurz nach Mitternacht kam er. Nachdem er aufgeschlossen hatte, trat ich aus dem Dunkeln, drängte ihn in die Wohnung und kickte die Tür hinter uns zu. Schachteln standen herum, Wäsche lag am Boden, es stank nach Kief und Abwasch. Vor Angst konnte er nicht einmal schreien. Er hyperventilierte, hielt sich die Arme vors Gesicht und ging vor mir auf die Knie. Ich solle ihm nichts tun, bettelte er atemlos. Seine Hand sei kaputt, er sei nicht versichert, er könne nie wieder seine Hand richtig verwenden. Das müsse doch genügen. Er streckte mir die verletzte Hand entgegen, sie war mit einem dreckigen Verband umwickelt. Ob Janna bei ihm gewesen sei, fragte ich, und meine Stimme war sehr ruhig und freundlich. Worüber ich mich selber wunderte. Nein, sagte er, er schwöre es, ich solle ihn in Frieden lassen. Ich sagte, ich würde es nicht dulden, wenn er mich anlüge; man könne mit mir über sehr vieles reden, nur anlügen dürfe er mich nicht. Er solle jetzt nichts überstürzen, sagte ich, er solle sich setzen und mit mir eine Smart rauchen und mir von seiner Musik erzählen, von einer neuen Gitarre zum Beispiel, die er sich gekauft habe oder kaufen wolle, und dann solle er mir die Wahrheit sagen, in Ruhe und Vernunft. Was er von dem Vorschlag halte. Nach einer Viertelstunde gab er zu, Janna sei bei ihm gewesen und habe ihn gotterbärmlich angebettelt, und er habe nicht anders können, als ihr einen Schuss zu geben, umsonst, bewusst umsonst, nicht einen Schilling habe er für das H verlangt. Ich sagte, ich sei sehr erleichtert, dass er mir die Wahrheit gesagt habe, und bat ihn, ihr in Zukunft nichts mehr zu geben. Wenn sie bei ihm aufkreuze, solle er mich bitte anrufen. Er war auch sehr erleichtert.
»Versprichst du mir das?«, fragte ich.
»Ich verspreche es dir«, sagte er und wollte mir die Hand küssen. Das wollte ich aber nicht.
»Keiner von euch hält ein Versprechen«, sagte ich leise, so leise, dass er es nicht verstehen konnte.
»Was sagst du?«, fragte er. »Was hast du gesagt? Ich habe dich nicht verstanden.«
Ich marschierte quer durch die Innenstadt und über den Donaukanal in den 2. Bezirk, es war schon nach eins. Mir schien, es roch nach Föhn. Ich liebte diesen Geruch. Er erinnerte mich an Feldkirch und an die Spaziergänge zusammen mit Sebastian durch Matschels an der Ill entlang. Sebastian liebt den Föhn. Er habe bei Föhn das Gefühl, in der weiten Welt zu sein. Bei Vera herrschte noch Betrieb. Sie freute sich, mich zu sehen. Sie habe schon Angst gehabt, ich sei ihr untreu geworden. Sie beugte sich über die Bar und flüsterte in meine Haare hinein, gleichzeitig habe sie auch gehofft, ich sei ihr untreu geworden. Und fragte, ob ich noch mit der netten Frau zusammen sei, die passe zu mir. Ich antwortete nicht und zwinkerte
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