Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)
Sie zuckte mit der Achsel. Ob sie bei mir wohnen könne, fragte sie und sah mich nun doch an. Zwei Nächte nur oder eine. So lange, wie sie wolle, könne sie bei mir bleiben, sagte ich. Ob ich auch an der Nadel hinge, fragte sie. Das nicht, sagte ich, aber ich könne ihr Stoff beschaffen. Allerdings fände ich das keine gute Idee. Sie auch nicht, sagte sie. Ob sie sich schon einmal einen Entzug überlegt habe. Habe sie. Ob sie meine, jetzt sei der richtige Zeitpunkt dafür. Ja, meine sie. »Dann Rock ’n’ Roll!«, sagte ich und stieß ihr den Ellbogen sanft in die Seite und lächelte sie an. Sie holte tief Luft und nickte und lächelte zurück.
Über die Osterfeiertage war niemand im Studentenheim. Ich sagte, sie dürfe in meinem Bett schlafen, ich würde mich auf den Fußboden legen. Ich rief bei Cookie an und schilderte ihm die Situation. Als er kam, war Janna eingeschlafen.
»Wenn sie aufwacht, geht es los«, sagte er.
Er hatte eine Palette mit Fruchtjoghurt mitgebracht, vier Tafeln Nussschokolade, Kartoffelchips und Schokokekse, Coca-Cola und Ovomaltine, Bananen, ein paar Liter Milch, Suppenwürfel, einen Doppelliter Rotwein und eine Schachtel Dominal Schlaftabletten. Dazu drei Fläschchen Hustensaft, ausreichend Paracetamol und Aspirin gegen Gliederschmerzen sowie zwei Handvoll Magnesiumtabletten gegen eventuelle Muskelkrämpfe und Vitamin C für allgemein. Und Codein und Valium. Und für mich ein halbes Dutzend Pervitin. Damit ich fit bliebe. Und einen Stapel Comics. »Du hast lange leere Meter vor dir«, sagte er. Für den äußersten Notfall gab er mir ein Briefchen mit relativ sauberem Heroin.
»Was bin ich dir schuldig, Cookie?«, fragte ich.
»Das geht aufs Haus«, sagte er. »Gib mir Bescheid, wie es ausgegangen ist. Lore lässt ausrichten, sie hat literweise Bananenmilch in sich hineingeschüttet. Bananenmilch ist ihr Geheimtipp. Soll ich sie von dir grüßen?«
»Ja«, sagte ich.
Es ging die Sage, ein kalter Entzug sei wirkungsvoller. Ein kalter Entzug heißt: kein langsames Ausschleichen, sondern sofortiger Abbruch, kein Ersatzgift, nur Schokolade, Chips, Ovomaltine und Suppe – und Bananenmilch. Manche behaupten, nur ein kalter Entzug sei erfolgreich. Ärzte warnen davor. Es könne tödlich ausgehen; schon geschehen, wenn sich einer schon länger als ein Jahr täglich Heroin spritzt. Junkies halten dagegen, je näher du beim Tod warst, desto stärker wirst du.
Janna war neunzehn und seit zwei Jahren auf Heroin, und von Anfang an hatte sie sich gespritzt. Keine sanfte Annäherung über die Nase. Mehr erzählte sie von sich nicht, mehr fragte ich sie nicht. Außer, dass ich in Mexiko gewesen sei, erzählte ich von mir nichts. Und sie fragte auch nicht. Von Mexiko erzählte ich ihr, um sie abzulenken – wie ich Reiten gelernt hätte und dass ich in einem Museum gewesen sei, in dem hundert Jahre alte Indianerskalps ausgestellt waren, und so weiter … Darüber schlief sie immer wieder ein.
Ich schlich mich in den Flur und rief bei der Nummer an, die mir Allegra gegeben hatte. Allegras Mutter nahm ab. Allegra sei gerade in die Stadt gegangen, ob ich in einer Stunde noch einmal anrufen könne. Ich sagte, leider nein, ich müsse gleich aufbrechen, ich hätte mich mit Freunden zu einer Wanderung verabredet, ich würde wieder anrufen, wenn ich zurück sei, in etwa vier oder fünf Tagen.
Sie habe Angst, sagte Janna, als sie aufwachte. Ich nicht, sagte ich. Ihr Mund war verkrustet und die Lippen rissig. Es sei wie eine heftige Grippe, sagte ich, viel mehr sei es nicht. Sie habe gehört, sagte sie, dass Süchtige auf Entzug sehr gemein sein könnten. Sie dürfe ruhig gemein zu mir sein, sagte ich. Sie nickte und zog die Schultern ein. »Dann Rock ’n’ Roll«, sagte sie mit leiser weinerlicher Stimme und holte tief Atem.
Nichts begann. Wir saßen nebeneinander auf meinem Bett und lasen Comics. Janna hatte die Micky-Maus-Hefte auf ihre Seite gelegt, ich die Asterix-Hefte auf meine Seite. Ich hatte uns in der Küche mit dem Handmixer einen Krug Bananenmilch zubereitet, etwas Honig dazu und Zitronensaft. So saßen wir nebeneinander, lasen leise, lasen uns Stellen vor, tranken den süßen Brei und warteten auf die Symptome des Entzugs, von denen wir beide nicht wussten, wie sie sein würden.
Gegen drei Uhr nachmittags sagte Janna, sie sei müde und wolle eine kleine Runde schlafen. Ich setzte mich auf den Boden und nahm die Micky-Maus-Hefte mit. Sie schlief zwei Stunden. Der Affe weckte
Weitere Kostenlose Bücher