Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)
sie.
Sie schwitzte im Gesicht, und die Augen tränten und sahen noch blasser aus, wasserblau wie bei einer Greisin. Sie schluckte auch unentwegt Spucke. Wichtig sei Wasser, sagte ich und füllte ein Glas an meinem Waschbecken. Jetzt gehe es los, sagte sie. »Jetzt geht es endgültig los.« Das Klo war am Gang. Aber sie wollte das Zimmer nicht verlassen. Sie fürchtete sich. Ich besorgte einen Plastikeimer aus der Küche. In einer Minute war ich zurück. Sie schüttete Wasser in sich hinein, unten lief es aus ihr heraus. Ich drehte ihr den Rücken zu. Die ersten zwei, drei Male genierte sie sich, dann nicht mehr. Das Haar hing ihr in feuchten Strähnen über Stirn und Schläfen. Ihre Pisse roch metallisch. Ich schüttete sie ins Waschbecken und spülte nach. Ich wusste nicht, ob ich sie allein lassen konnte und wie lange und was passieren würde. Als ich in der Küche gewesen war, hatte sie sich die Grinde am Arm aufgekratzt. Das Gift gehe ihr weniger ab als die Nadel. Es sei interessant, dass ihr das Gift gar nicht abgehe. Sie gähnte in einem fort. Sie könne nicht anders. Ihr Kiefer knackte. Es würde ihr guttun, ein bisschen etwas Spitzes gegen die Haut zu drücken, sagte sie, einfach nur dagegendrücken, kein Blut, das verspreche sie. Ich hatte nichts Spitzes. Eine Stricknadel zum Beispiel, sagte sie. Wozu braucht einer wie ich eine Stricknadel? Sie ging auf und ab, von der Tür zum Fenster. Mit stelzigen Beinen. Den Gürtel und die obersten Knöpfe ihrer Jeans geöffnet. Spazieren gehen wollte sie nicht. Auf keinen Fall wollte sie nach draußen. Sie hatte Angst, dass sie sich nicht auskenne. Wir sind im 8. Bezirk, sagte ich. Den kenne ich nicht, sagte sie. Wir aßen eine Tüte mit Chips auf. Cookie hatte gesagt, Chips seien Medizin. Sie kriegt die Scheißerei, hatte er gesagt, da muss sie Salz zu sich nehmen. Wir tranken eine Limonade. Das tat gut. Es ist eh nicht so schlimm, sagte sie. Wenn schon eine Limonade guttut, kann es nicht so schlimm sein, oder? Was meinst du? Ich habe keine Ahnung, sagte ich. Sex tut gut, sagte sie. Eine Freundin habe auch einen Kalten durchgezogen, und der sei halb so schlimm gewesen, sie habe die ganze Zeit Sex gehabt, keinen besonders geilen Sex, aber Sex. Ich will keinen Sex, sagte ich. Ich auch nicht, sagte sie. Ihre Hände waren nass und weiß und kalt, und sie gähnte in einem fort, und ihr Kiefer knackte. Sie legte sich ins Bett, ich deckte sie zu, nichts schaute heraus, nur ihre Nase. Sie klapperte mit den Zähnen. Sie konnte nicht liegen bleiben. Das war unmöglich. Sie musste sich bewegen. Ich legte ihr die Decke um. Inzwischen war Nacht. Sie weinte. Sie weinte in einem Ton, den ich widerlich fand. Ich wünschte, sie sähe besser aus. Ihre Waden waren hässlich dünn. Die Beine waren hoch, das Becken war breit. Warum hast du dich tätowieren lassen? Weiß nicht. Darf ich raten? Langeweile? Sie hatte das Bild auf der Brust einer Freundin gesehen und wollte das gleiche haben. Die Freundin, die sich den Entzug mit Sex erleichtert hat? Nein, die nicht. Erzähl mir einen Witz. Sie weinte wieder. Um Mitternacht übergab sie sich in den Eimer. Ich muss es ins Klo schütten, sagte ich, du bist also zwei Minuten allein, ist das o.k.? Bitte, nur eine Minute. Geh mit, sagte ich. Das traute sie sich nicht. Du bist in einem Studentenheim, sagte ich, im 8. Bezirk und in Wien. Wir sind allein hier. Die Studenten sind in den Ferien nach Hause gefahren. Sie übergab sich noch einmal. Ich lief mit dem Eimer in den Gang, schüttete ihn ins Klo, spülte ihn in der Dusche aus. Als ich zurückkam, hatte sie sich zum dritten Mal übergeben. Auf den Fußboden. Ich wischte die Kotze mit einem Handtuch auf, sie half mir nicht dabei, ich wusch das Handtuch im Waschbecken aus und hängte es ans Fenster. Es war nicht viel gewesen, dünnes Grünes. Jetzt sei das Schlimmste vorbei, sagte sie. Sie sei ruhiger. Ich schlaf jetzt. Wie spät ist es? Ich weiß nicht. Jemand hat mir die Uhr geklaut. Eine Stunde schlief sie. Ich konnte nicht schlafen. Ich trank etwas Milch und Rotwein. Ich hoffte, meine Tiere würden kommen und mir beistehen. Das Fenster war offen.
Sie wachte auf und weinte gleich wieder. Wollen wir uns etwas ausmachen, sagte ich. Was denn? Dass wir einander nichts erzählen. Ja, das will ich auch. Ich will nichts von dir wissen. Ich auch nichts von dir. Ich will nicht, dass du etwas von mir weißt. Ich will auch nicht, dass du etwas von mir weißt. Ich muss aufs Klo, sagte sie. Ich muss
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