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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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zart sah er aus. Mein Gesicht war jung, frisch, der Bart hatte es über etliche Jahre hinweg vor manchem abgeschirmt.
    Die Beamtin der Grenzübergangsstelle Probstzella behielt meinen Pass und forderte mich auf, mit ihr zu kommen. Sie hob den Pass über ihre Schulter, als wäre er etwas Kostbares, das vor fremdem Zugriff bewahrt werden müsse. Sie führte mich aus dem Zug, durch das Spalier der Mitmenschen, weiter am Bahnsteig entlang, über aufgerissene Betonplatten, vorbei an dem alten Klinkerbahnhof; ließ meinen Arm nicht los, hielt ihn mit sanftem, aber entschlossenem Griff; führte mich weiter zu einem vierstöckigen Betonbau, schob mich behutsam vor sich her über die Stiege hinauf und durch einen langen Gang. Ein schwaches Licht schimmerte durch die Milchglasfenster über den Türen, die auf beiden Seiten abgingen. Dahinter waren Stimmen zu hören. Die Beamtin vermied es, mich anzusehen. Einige Schritte hinter uns ging ihr Kollege, ein junger Mann in grüner Uniform, den ich durch den Mund atmen hörte, er hatte einen saftigen Schnupfen, seine Nase und seine Oberlippe waren gerötet. Ich fragte ihn, ob er ein Taschentuch wolle. Ich reichte ihm ein Päckchen Tempo, er bedankte sich. Er hatte ein Sturmgewehr geschultert und Patronentaschen am Gürtel.
    Die Beamtin öffnete eine Tür am Ende des Korridors und bat mich, einzutreten und mich zu setzen. Das tat ich gern. Hier waren eine Pritsche, ein schmaler, langer Tisch und vier Stühle, ein Waschbecken und unter dem Fenster ein gusseiserner Heizkörper. Ich dürfe sie nicht missverstehen, sagte sie, sie werde mich nun allein lassen und den Raum absperren, das sei Vorschrift. Ich sagte, ich sei mit allem einverstanden, sie solle sich bitte keine Gedanken machen, ich sei sehr glücklich. Sie gab mir wieder einen langen Blick, und zum ersten Mal sah ich ihr Gesicht von vorne. Es war breit und hell und von einer rührenden Reinheit. Sie war etwa in meinem Alter, höchstens dreißig, die Haare hatte sie zu einem Rossschwanz gebunden, der die Mütze hinten ein wenig hob, so dass sie ihr vorne in die Stirn rutschte. In ihrem Blick glaubte ich Dankbarkeit, Erstaunen zu erkennen. Am Oberarm ihrer Uniformjacke war ein Stoffwappen aufgenäht, das einen Hundekopf im Profil zeigte. Ich fragte sie danach. Sie antwortete, sie sei eigentlich Diensthundführerin, aber auch im Grenzdienst bei den Passkontrolleinheiten tätig, man müsse flexibel sein. Ich sagte, ich sei ein Freund des Hundes, überhaupt ein Freund des Tieres. Ich wusste nicht, was sie davon hielt. Sie nickte mir zu, lächelte und ging. Sie bemühte sich, den Schlüssel möglichst harmlos im Schloss zu drehen.
    Es roch nach Tannennadeln und Desinfektionsmittel, nicht unangenehm. Ich rückte den Sessel an den Heizkörper heran, der war zu heiß, um die nackten Hände daraufzulegen. Vor einem Monat hatte ich als der schwarze Mann im Kohlenkeller vom Hotel Panhans am Semmering nicht weit von Wien gehaust und hatte mein Loch für das Paradies gehalten, weil es dort Würste gab und Käse, Wein und Schnaps. Aber dieses Zimmerchen hier war hundertmal schöner als der Keller. Sonnenschein fiel durch das Milchglas. Ich brauchte nicht zu fürchten, entdeckt zu werden, ich war offiziell und ohne Heimlichkeit hierhergeführt worden. Ich saß auf der Pritsche, überließ mich dem dämmernden Tag und dachte nichts.
    Nach fünfzehn Minuten wurde die Tür aufgesperrt, und die Diensthundführerin und der verkühlte Soldat traten wieder ein, diesmal in Begleitung einer Frau ohne Mütze, dafür mit sonnenblondem Lockenkopf und in einer Uniform mit gelb umrahmten Schulterklappen, auf die drei gelbe Rauten gestickt waren. Auch sie trug eine Pistole am Gürtel. Sie schaltete das Licht an, ich stand auf, lächelte, wie ich es kann, und streckte ihr meine Hand entgegen. Sie wurde nicht genommen.
    »Oberleutnant Erika Stabenow von der Grenzbrigade 13. Willkommen in der Deutschen Demokratischen Republik«, sagte die Soldatin, und ich begriff, dass es im Gegenteil eine Form der Höflichkeit war, wenn sie mir nicht die Hand gab, weil die Berührung eines Zivilisten durch einen Soldaten immer als ein Übergriff verstanden werden musste. »Bitte«, fuhr sie in entsprechend unbeteiligtem Ton fort, »erzählen Sie, Herr Dr. Koch! Ich hoffe, es stört Sie nicht, wenn wir Ihre Aussage auf Tonband aufnehmen. Wollen Sie einen Kaffee oder einen heißen Tee? Ich zum Beispiel nehme einen Tee.«
    Die Diensthundführerin holte aus einer Schublade des

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