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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Leidensgenossen zu besaufen oder nicht zu besaufen; das sah jeder ein.
    Ich erzählte, ich würde an einem Buch schreiben. Nicht korrekt war daran das Tempus. Ich schrieb noch nicht. Aber ich nahm mir vor, es zu tun. Sebastian hatte mir dazu geraten. Schlicht: Ich solle mein Leben aufschreiben, hatte er mir geraten. Er werde mir dabei helfen. Falls ich es wünschte. Der Großwildjäger redete mir zu. Seine Frau, sagte er, wolle ebenfalls ein Buch schreiben, einen Kriminalroman; seit sie diesen Entschluss gefasst habe, sei sie glücklich, wirklich glücklich. Alle redeten mir zu. »Wenn sie glücklich geworden ist, warum nicht auch du, Joe!« Und alle waren der Meinung, mein Buch solle unbedingt mit etwas Lustigem beginnen. Mit einem Witz.
     
    Und dann bin ich auf und davon. Habe Sebastians Geld aus der Blechbüchse genommen. Habe mich nicht von ihm verabschiedet. Einen Zettel habe ich auf den Küchentisch gelegt. Dass ich mich bei ihm melden werde. Bin auf und davon – in die Abgeschiedenheit.
     

10
     
    Ich gerate in meiner Geschichte durcheinander. Ich muss mich disziplinieren. Ich werde mich disziplinieren, ich verspreche es, nur einen Augenblick noch … – Sebastian, du hast gesagt, ein Buch sei ein mäandernder Fluss. Wenn das so ist, dann sind meine Gedanken und Erinnerungen seine Arme. Es gelingt mir nicht immer, sie zu bändigen. Eine Geschichte ist ein Krake, ein Krake, ja. Verzeih, wenn ich in den Zeiten springe, vor – zurück – und wieder vor. In Wahrheit ist ja alles Gegenwart. Die Vergangenheit ist die Gegenwart eines Gedankens, das hat schon Augustinus gesagt. Der Mensch in der Abgeschiedenheit lebt ohnehin in der Ewigkeit – so habe ich Meister Eckhart verstanden. Für die Welt ist dieser Mensch tot. Marithér wollte so gern wissen, was in Mexiko geschehen war. Sie war neugierig, hat immer wieder danach gefragt, gierig war sie. Ungehalten war sie. Ich war plötzlich in ihrem Leben aufgetaucht, war aus Mexiko gekommen – sie wollte alles wissen. Aber ich wollte ihr nicht erzählen. Dir will ich erzählen, nur dir, Sebastian.
    Von San Juanito waren wir weiter mit dem Bus in Richtung Creel gefahren, über einen Pass, wo die Straße aus dem Fels gesprengt worden war, durch eine enge Klamm, über der Schneewechten hingen, an Flussbänken vorbei, denen man vom Busfenster aus nicht ansah, ob sie mit weißem Sand oder mit Schnee bedeckt waren, auf einer Fotografie hätte niemand sagen können, ob Winter war bei minus zehn Grad oder der mexikanische Sommer in der Sierra Madre Occidental, der die Flüsse und die Augäpfel austrocknen ließ. Schon dreimal in den vorangegangenen Jahren waren Janna und ich hier gewesen. Wir saßen unter Männern, die sich Decken um die Schultern, manche über den Kopf gezogen hatten und darunter Zigarillos rauchten. Tarahumara-Frauen in ihren bunten voluminösen Faltenröcken waren in den hinteren Teil des Busses verwiesen worden, ihre Ponchos hatten sie abgelegt, darunter trugen sie weiße Blusen. Sie hatten kleine Kohleöfen vor sich, wie Laternen sahen die aus. Zweimal seit Fahrtbeginn hatten sie uns bereits angebettelt und waren dafür vom Fahrer angebrüllt worden. Vorne, wo für Touristen reserviert war, saßen kanadische Hippies. Auch wir saßen vorne. Die Kanadier waren etwa in unserem Alter, zwischen vierzig und sechzig, sie hatten lange verfilzte Haare, trugen Tarahumaraponchos oder US-Parkas. Die Fixer, hatte mir Janna erklärt, erkenne man an den roten Stirnbändern. Die Fixer kamen hierher, weil sie gelesen hatten, die Tarahumaras wüssten über einen Kaktus Bescheid, der alle Drogenprobleme löse, so oder so. Manche spritzten sich ungeniert während der Fahrt, zu ihnen sagte der Fahrer nichts. Ich nickte ein, wachte auf, weil mich jemand in die Seite stieß. Einer der Hippies, bärtig, blöder Blick, am Ärmel seines Parkas die kanadische Flagge, schnauzte mich an: »Tell the spectre at your side not to unload its snot on my sleeve!« Janna hatte Fieber. Sie war nach links gerutscht und von der Bank gefallen. Jetzt blickte sie um sich, als wüsste sie nichts, gar nichts, nicht, wo sie war, nicht, warum sie hier war, nichts von dem, was in den letzten Jahren geschehen war – als stünde sie wieder im Bahnhof von Kopenhagen neben ihrer blauen Leiter. Ich half ihr auf und nahm sie in den Arm. Steckte ihr Gesichtchen unter meinen Jackenaufschlag, legte meine Hand auf ihren Hinterkopf. Diesen bösen Kanadier aber packte ich am Ohrläppchen und riss ihn nahe an

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