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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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ebenfalls ein probates Mittel.
    »Sie schieben dir einen Schlauch in den Magen«, konterte Opa.
    »Und wenn man einfach die Luft anhält?«, fragte ich in die Runde.
    Wir probierten es aus. Papa besaß eine Uhr mit Sekundenzeiger. Länger als eine Minute schaffte es keiner von uns. Am besten schnitt Papa ab. Das wunderte niemanden.
    Zu meiner Freude hatte Papa das Taschenschachspiel mitgenommen. Es war nicht viel größer als eine Zigarettenpackung, die Figuren so zart wie Hemdenknöpfe, sie hatten unten einen winzigen Magneten, so hielten sie auf den Feldern. Ich fragte ihn, warum er das Spiel erst jetzt auspacke. Darauf gab er mir erwartungsgemäß keine Antwort.
    Als der Abend kam, verkrochen wir uns in die Zierbüsche. Wir hatten es bei Hellem ausprobiert: Man konnte uns nicht sehen, auch nicht, wenn einer direkt davor stand. Moma und Opa legten sich gemeinsam unter einen Strauch, wir anderen hatten jeder einen eigenen.
    Wir waren noch nicht eingeschlafen, da hörten wir Herrn Dr. Hans Martins Stimme rufen: »Frau Dr. Fülöp-Ortmann! Frau Dr. Fülöp-Ortmann!«
     
    Wir fuhren in zwei Taxis zu Herrn Dr. Martins Wohnung nach Hietzing – in der, wie sich herausstellte, überhaupt nicht wenig Platz war. Er wollte uns erst in ein Restaurant führen, aber Opa ging es nicht besonders. Dr. Martin jedenfalls meinte, es gehe ihm nicht besonders; er solle sich lieber ausruhen. Das Restaurant lag gleich gegenüber seiner Wohnung, es habe bis Mitternacht und darüber hinaus geöffnet. Er rief an, und zwei Kellner brachten Braten und Gemüse und Knödel und eine Schüssel Kartoffelsalat und Bier und Coca-Cola und einen kleinen beschlagenen Eimer halbvoll mit bunten Eiskugeln, dazu Waffeln. Opa verschluckte sich schon beim ersten Bissen und hustete heftig – es war garantiert nicht mehr als ein Verschlucken, er hatte eine Tendenz zum Sichverschlucken; Herr Dr. Hans Martin aber meinte, es könne ebenso etwas Ernstes sein, und bestand darauf, einen Krankenwagen zu rufen. Gleich klingelten zwei Sanitäter an der Tür – ich dachte zuerst, es seien schon wieder die Kellner aus dem Restaurant gegenüber, so ähnlich sahen sie den beiden, schwarze Hosen, weiße Jacken, breite goldene Fingerringe – Österreich war wunderbar! Sie hoben Opa auf eine Bahre und brachten ihn ins Spital. Moma und Herr Dr. Martin fuhren mit.
    Mama und Papa nahmen derweil ein Bad. Sie wussten nicht, wie der Boiler aufgeheizt wurde, und setzten sich ins kalte Wasser. Mama kreischte, Papa rieb ihr die Haut mit der Fingernagelbürste ab, und sie konnte dabei nicht den Blick von ihrem Spiegelbild lassen. Dann machten sie die Tür zu, und ich hörte, wie sie sich gegenseitig auf den nackigen Hintern klapsten. Hinterher zogen sie sich frische Sachen aus ihren Koffern an, Mama wickelte ein Handtuch um die Haare und knipste sich mit einem Scherchen aus Herrn Dr. Martins Spiegelschrank die Fußnägel zurecht. Die Schmutzwäsche ließen sie im Badezimmer liegen. Ihr Gastgeber würde sicher jemanden kennen, der sich darum kümmerte. Auch ich setzte mich in die Wanne und wusch mich, und hinterher putzte ich mir mit der Zahnbürste von Herrn Dr. Martin die Zähne und träufelte mir von seinem Rasierwasser aufs Haar. Papa und Mama fanden in der Küche eine Flasche Wein, und als Moma und Herr Dr. Martin endlich zurückkamen, waren sie ein bisschen betrunken, was ich daran merkte, dass Mama mit dem Küssen nicht aufhören wollte.
    Über zwei Stunden waren Moma und Herr Dr. Martin weg gewesen. Man hatte Opa im Spital behalten. Herr Dr. Martin kannte einen Arzt dort, der habe geraten, Opa eingehend zu untersuchen, das werde aber erst morgen möglich sein; worauf Herr Dr. Martin – erzählte Moma – verfügt habe, »diesen freundlichen Herrn in der denkbar höchsten Geschwindigkeit gesund zu machen«. Man habe Opa eine Spritze gegeben, und er sei glücklich eingeschlafen, und Moma und Herr Dr. Martin waren zu Fuß nach Hause gegangen. Heiter. Und erleichtert. Nun war es zwei Uhr in der Nacht.
    Herr Dr. Martin tat, als wären wir alle miteinander, die ganze Bagage, seine längsten Freunde. Er zündete das Gas unter dem Boiler an, damit wenigstens Moma warmes Wasser habe. Mama und Papa stellte er sein Schlafzimmer zur Verfügung. Es sei ihm eine Freude, sagte er. Dort stand ein Doppelbett mit goldenen Tambourstäben in den Ecken. Er wollte das Bett frisch überziehen, aber Mama sagte, das sei nicht nötig. Und schaute dabei Papa an. Ich habe sie nach unserem Zwischenfall

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