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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Kindheit nicht mehr getan. Als er die Kirche betrat, hörte er über die Lautsprecher den Priester rezitieren: »Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach, aber spricht nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.« Er war erschüttert, auch deswegen, weil es komisch war wie im Kabarett, er aber nicht um alles in der Welt den Verdacht wegwischen konnte, Gott habe soeben zu ihm gesprochen. Er, ein weitgehend nüchterner Tierarzt im einundvierzigsten Lebensjahr, sah sich plötzlich mit der Gewissheit konfrontiert, dass der Schöpfer von Himmel und Erde in diese Kirche herabgestiegen war, allein, um ihn zu treffen. Er habe ihn spüren können, die Luft sei dicker gewesen als sonst, er habe mit den Händen gewedelt und es sei gewesen, als bewege er sie durch Wasser. Eine Frau neben ihm habe um Atem gerungen, und der Organist habe für eine Sekunde sein Spiel unterbrochen. Er stellte sich in die Schlange zur Kommunion an, ließ sich die Hostie reichen, wartete den Segen ab und eilte davon. Er fasste Vorsätze und hoffte auf Erleichterung.
    »Und ich?«, fragte ich. »Was kann ich in dieser Angelegenheit für Sie tun?«
    Er drehte sich um und ließ mich stehen.
    »Sie sind kein böser Mensch«, rief ich ihm in die Nacht hinein nach. »Sie sind nur ein Narr!«
    Mehr an Lossprechung hatte ich nicht zu bieten.
    Er hat nicht aufgegeben, um meine Freundschaft zu werben. Weswegen ich auf ihn zurückkommen muss. – Nun aber weiter in meinem »Schelmenroman« …
     
    Ende des Sommers 1961 zogen wir um, fort aus Wien. Meine Mutter hatte eine Stelle als Anästhesistin bekommen, und zwar im Krankenhaus der kleinen Stadt Feldkirch in Vorarlberg, im Westen Österreichs. Auch mein Vater hatte eine lukrative Arbeit gefunden, in der Nachbarstadt Bludenz, bei der Textilfirma Getzner, Mutter & Cie, wo er innerhalb eines Jahres zum Verkaufsleiter aufstieg. Zusammen mit dem Anteil aus Momas Schweizer Vermögen waren wir breit aufgestellt.
    Wir mieteten eine Wohnung mitten in der Stadt in der Beletage eines Bürgerhauses – hohe Räume, gewölbte Fenster, zwei Badezimmer, ein Salon und drei Schlafzimmer. Im Korridor stand auf einem Wandtischchen ein Telefon. Es war schwarz und hatte hohe Gabeln. Als erstes riefen wir bei Moma an, aber sie nahm nicht ab. Am Abend versuchten wir es wieder, hatten abermals kein Glück. Als Mama und Papa schliefen, wählte ich noch einmal ihre Nummer. Moma hob ab und nannte mit verschlafener Stimme ihren Namen. Ich legte auf.
    Am besten gefiel mir die Küche. In ihrer Mitte stand ein Herd mit fünf elektrischen Platten und zwei Röhren. Man konnte um ihn herumgehen, und über ihm war wie ein Baldachin ein Dunstabzug an der Decke, er war umringt von einer Messingstange, an der Kellen, Schaufeln, Pfannen, Vorleggabeln und Stieltöpfe hingen. Der Herd war verwahrlost, unsere Vormieter hatten ihn nicht zu schätzen gewusst, hatten sich sogar angeboten, ihn herauszureißen, bevor wir einzogen. Ich putzte ihn drei Tage lang, scheuerte die emaillierten Seitenwände, polierte das Messinggestänge, das über ihm und um ihn herumlief, wienerte die Platten und kratzte die angebrannten Reste aus den Backröhren. Als Einstandsmenü gab es einen Rinderbraten in Rotweinsoße, dazu einen Serviettenknödel, Rotkraut mit Äpfeln und Kastanien und einen Gurkensalat mit Dill, als Nachtisch ein Chaudeau. Papa und ich waren die Köche. Schon in Wien hatten wir öfters gemeinsam gekocht. Unsere Handgriffe waren aufeinander abgestimmt; wir hackten, schnitten, rührten, blanchierten, wendeten, kosteten schweigend; und wenn das Essen serviert wurde, war die Küche aufgeräumt und blitzblank. Während der Woche hatte er wenig Zeit, darum kochten wir nur an den Wochenenden im Duett. Ich war viel allein. Ich genoss es, im Salon einen Sessel an ein Fenster zu schieben und hinunter auf den Marktplatz zu schauen, der zu beiden Seiten von Arkaden gesäumt war. Manchmal saß ich drei Stunden, ohne mich zu bewegen. Wäre ich ein Poet wie Sebastian, die Nachmittage hätten mich animiert, Gedichte zu schreiben. Sebastian sagt, in einem Gedicht dürfe man heutzutage getrost auf eine Meinung verzichten. So gesehen hätte ich mich vortrefflich zum Lyriker geeignet; ich fand zwar sehr schnell heraus, was die anderen für Meinungen hatten und was sie für dieselben zu tun bereit wären, leistete mir aber nur in seltenen Fällen eine eigene. Ich hatte – wie mein Vater – viel übrig für materielle Dinge.
    Unsere erste größere

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