Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)
Schaukeln, den Schießbuden und den Autodromen dröhnte, und ich tat wie er. Aber wir verloren schnell die Freude daran.
Sehr interessant war die automatische Handlesemaschine. Auf die Metallplatte müsse man die Hand legen, die Handlinien würden mit Hilfe des elektrischen Stroms untersucht – so stand auf einem Schild; nach einer halben Minute sei die Maschine mit ihrer wissenschaftlichen Berechnung fertig, und ein Blatt Papier werde durch einen Schlitz nach außen geschoben; darauf stehe die Zukunft. Ich las Staff Sergeant Winships und meine Zukunft laut vor und übersetzte sie; beide Zukünfte waren nichts Besonderes. Wir aßen Eis und gleich darauf jeder eine Debrezinerwurst mit Semmel und Senf, dazu tranken wir Coca-Cola. Bei einem Kiosk erstand ich ein kleines Reiseschachspiel, ähnlich dem, das mein Vater besaß. Ich hatte sieben Schilling und fünfzehn Groschen übrig, dafür kaufte ich Schokolade für Staff Sergeant Winships Reise, die fünfzehn Groschen ließ ich in einen Gully fallen.
Am Abend saßen wir auf einer Bank in der Praterallee und warteten, dass die Sonne unterging. Schließlich sagte Staff Sergeant Winship, er werde jetzt aufbrechen. Er holte meinen dunklen Anzug aus dem Rucksack und die Schuhe. Ich gab ihm das Reiseschachspiel. Er fragte nicht, ob ich mit ihm gehen wolle. Wir reichten einander die Hand. Dann ging er durch die Praterallee und drehte sich nicht mehr um. Und ich ging in die andere Richtung, das leichte Bündel unter dem Arm.
In dieser Nacht schlief ich in der alten Waschküche, in die mich Major Hajós vor über einem Monat gebracht hatte. Ich träumte von Staff Sergeant Winship, aber der Zusammenhang war mir unklar. Am Morgen zog ich den Anzug an, die Mädchenkleider ließ ich liegen, und machte mich auf den Weg.
Mama und Papa und Moma haben in den folgenden Tagen viel geweint. Vor Freude, und weil ihnen, wie Mama sagte, der Schmerz wieder frisch wurde, an den sie sich schon fast gewöhnt hätten. Mama und Papa benachrichtigten die Polizei, und zwei Beamte verhörten mich. Ich erzählte aber niemandem, was geschehen war. Ein Arzt untersuchte mich, und ein zweiter Arzt untersuchte mich; sie fanden nichts und überwiesen mich an einen Psychiater in der Innenstadt gegenüber der Pestsäule; der testete mich und meinte, man solle mich in Ruhe lassen; ich hätte ein Trauma, vielleicht könne ich mich tatsächlich an nichts erinnern, vielleicht wolle ich nicht, auch das müsse ich dürfen. Ich war allen rätselhaft, und ein bisschen fürchteten sie sich vor mir. Ich wünschte mir den Winter mit seinen pflaumenblauen Schatten im Schnee.
VIERTES KAPITEL
… in dem vor anderem von der Freundschaft die Rede sein wird. (Sebastian hat vorgeschlagen, gelegentlich eine »barocke rhetorische Figur« in die Erzählung einzuflechten, auch damit der belesene Leser in seiner Vermutung bestärkt werde, es handle sich bei meinem Leben um einen »Schelmenroman«.)
1
Einer der Männer, mit denen ich Bier trinke und Karten spiele, möchte zum Beispiel mein Freund werden. Er ist später zu uns gestoßen und spricht wenig. Er fragte mich neulich, ob wir gemeinsam einen Nachtspaziergang durch den Prater »unternehmen« wollen. Aus der Formulierung schloss ich, dass es länger dauern sollte. Es war später Herbst und schon streng. Er schnaubte Dampf aus seiner wachsbleichen Nase und erzählte mir von seinen Sünden, und dass er Lossprechung von mir erhoffe. Nur meinetwegen nehme er an unseren Abenden teil. Einer habe mich ihm empfohlen. Wenn ihm jemand helfen könne, dann Joel Spazierer.
Er ist verheiratet und hat eine Geliebte und betrügt seine Frau und seine Geliebte mit einem verheirateten Mann, zu dem er seit zehn Jahren eine Beziehung unterhält, und ist gleichzeitig eifersüchtig bis ins Wahnhafte, weil er argwöhnt, seine Geliebte treffe sich mit Liebhabern. Eines Abends sei er mit jenem Mann im Hotel gewesen, erzählte er mir (zwei getrennte Zimmer, eines unbenutzt); sie hatten Sex, und auf dem Heimweg, als er wieder allein war, überkam ihn die Eifersucht; er rief bei seiner Geliebten an und machte sie nieder. Seiner Frau hatte er gesagt, er verbringe den Abend mit uns bei Bier und Karten; sie lag im Bett, als er nach Hause kam; er streichelte sie wach und flüsterte in ihr Ohr, dass er sie sehr liebe, und schlief neben ihr ein. Am Morgen hatte er das Gefühl, ein verdammter Sünder zu sein. Es war Sonntag, und er ging in den Dom, um zu beten, das hatte er seit seiner
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