Die Abenteuer Des Jonathan Gullible
mich oder meine
Familie zu schicken, jetzt oder später und in deinem Namen.« Sie
holte tief Luft. »Verstehst du jetzt?«
Jonathan schüttelte den Kopf: »Ich kann den Unterschied immer
noch nicht erkennen. Ich meine, es kommt mir so vor, daß Leute zu
bestechen für Stimmen und Gefälligkeiten immer noch Bestechung ist,
ganz egal wer sie sind oder wessen Geld es ist. Der Name ergibt
doch noch keinen Unterschied, wenn die Handlung die gleiche
ist.«
Lady Tweed lächelte nachsichtig und begann zu schmeicheln: »Mein
lieber, lieber Freund, du mußt flexibler sein. Der Name ist alles.
Was ist denn dein Name? Hat dir schon einmal jemand gesagt, daß du
hübsch aussiehst? Du könntest weit kommen, wenn du dich um
politische Ämter bemühen würdest und wenn du nur etwas flexibler
wärst bei diesem Thema. Ich bin sicher, ich könnte dir nach meiner
Wahl eine nette Stelle in meinem Büro verschaffen. Na, bestimmt
gibt es etwas, was du möchtest?«
Jonathan beharrte auf seiner ursprünglichen Frage und bat weiter
um eine Erklärung: »Was bekommen Sie dafür, daß Sie die
Steuergelder ausgeben? Können Sie das Geld aus den Beiträgen
behalten?«
»Ach, einiges brauche ich für meine Ausgaben und viele nette
Sachen sind mir versprochen wurden, wenn ich in Rente gehe, aber
hauptsächlich bekomme ich dafür Anerkennung oder Glaubwürdigkeit
oder Bekanntheit oder Liebe oder Bewunderung oder einen Platz in
der Geschichte - alles das und noch mehr Stimmen!« kicherte Lady
Tweed.
»Stimmen sind Macht, und es gibt nichts, was mir mehr gefällt,
als Macht zu haben über das Leben, die Freiheit und das Eigentum
aller Menschen auf dieser Insel. Kannst du dir vorstellen, wie
viele Leute zu mir kommen - zu mir! - und um große und kleine
Gefälligkeiten bitten? Und jede kleine Steuer oder Vorschrift ist
eine Möglichkeit, eine spezielle Ausnahme zu gewähren. Jedes
Problem, groß oder klein, wird so gelöst, daß ich mehr Einfluß
erhalte. Ich kann kostenloses Essen und kostenlose Reisen für jeden
ausgeben, der mir gefällt. Seitdem ich ein Kind war, habe ich immer
von so einer Bedeutsamkeit geträumt. Und du kannst das alles auch
haben!«
Jonathan zappelte unbehaglich in ihrem Griff. Er hatte es
geschafft, wieder von ihr fortzukommen, aber Lady Tweed hielt ihn
noch fest an der Hand. »Sicherlich ist es ein sehr gutes Geschäft
für Sie und Ihre Freunde«, sagte Jonathan, »aber ärgern sich die
anderen Leute nicht darüber, daß ihr Geld genutzt wird, um Stimmen,
Gefälligkeiten und Macht zu kaufen?«
»Natürlich«, sagte sie und hob stolz ihr fettes Kinn, »Deshalb
bin ich die Anführerin der Reform.« Endlich ließ sie seine Hand los
und streckte ihre große Faust voller Juwelen in die Luft.
»Jahrelang habe ich neue Regeln entworfen, um das Geld aus der
Politik herauszuhalten. Ich habe immer gesagt, daß das ein
unhaltbarer Zustand ist und mit meinen Reformversprechen eine große
Anzahl von Stimmen gewonnen.«
Sie grinste einfältig und fuhr fort: »Glücklicherweise kenne ich
immer eine Möglichkeit, meine Regeln zu umgehen, wenn ich wertvolle
Gefälligkeiten verkaufen kann.«
Lady Tweed sah Jonathan wieder an und begutachtete seine
zerrissenen Kleider. »Niemand bezahlt dir einen Groschen für
Gefälligkeiten, weil du, jetzt jedenfalls, keine Gefälligkeiten
verkaufen kannst. Das ist ein direktes Verhältnis, nicht? Aber mit
deinem unschuldigen Blick und der richtigen Unterstützung von mir,
neuen Kleidern und einem modischen Haarschnitt könnte ich dir auf
jeden Fall ein überdurchschnittliches Wahlergebnis verschaffen. Und
nach zehn oder zwanzig Jahren sorgfältiger Führung - nun, es gibt
da keine Grenze der Möglichkeiten! Komm im Palast der Herren vorbei
und ich werde sehen, was ich tun kann.«
Bei dieser Bemerkung erspähte Lady Tweed eine Gruppe Arbeiter,
die hilflos auf die geschlossene Fabrik blickten. Sofort verlor sie
ihr Interesse an Jonathan, drehte sich um und ging auf der Suche
nach frischer Beute schnell fort.
»Das Geld anderer Leute auszugeben klingt nach viel Ärger«,
murmelte Jonathan leise.
Obwohl sie seine Worte kaum hören konnte, blieb Lady Tweed
stehen und kam einen Schritt zurück; sie hatte ihre Ohren darauf
abgestimmt, jeden Mißklang in der Luft zu erhaschen. Sie lachte:
»Hast du ›Ärger‹ gesagt? Ha! Es ist, als würde man Süßigkeiten von
einem Baby bekommen. Was die Leute mir nicht aus Pflichtgefühl
geben, das borge ich von ihnen. Ich bin längst weg und in guter
Erinnerung,
Weitere Kostenlose Bücher