Die Abenteuer des Röde Orm
mir eines Abends versengt, als ich bei starkem Wind Schweinefleisch briet«, sagte er, »und seitdem ist er noch nicht nachgewachsen.«
Am genauesten betrachtete Orm jedoch die beiden anderen Fremden, und aus ihnen konnte er ganz und gar nicht klug werden. Daß sie Brüder waren, sah man ihnen an, denn beide waren kurz und mager, hatten lange Ohren und große Nasen und schauten aus klugen braunen Eichhornaugen in die Welt. Obschon sie sehr klein waren, schienen sie doch von starkem und sehnigem Schlage zu sein. Jetzt horchten sie – die Köpfe seitlich geneigt – auf das Gebell der großen Hunde, und plötzlich steckte der eine die Finger in den Mund und ließ einen seltsamen, weichtrillernden Pfiff hören; die Hunde verstummten, aber gleich darauf stimmten sie sehnsüchtiges Winseln an.
»Seid ihr Trolle oder bloß Hexenmeister?« fragte Orm.
»Unsere Zauberkünste sind leider nicht so groß, wie wir’s wohl wünschen könnten«, sagte der eine, »denn etwas Eßbares können wir nicht hervorzaubern, auch wenn wir noch so hungrig sind.«
Orm lachte. »Eßbares soll euch nicht verweigert werden«, sagte er, »und am lichten Tage dürften eure Zauberkünste nicht gefährlich sein. Aber solche Bettler wie euch habe ich doch noch nie gesehen. Denn noch nie haben Fremde meine Hunde zum Schweigen gebracht, und sogar mir selbst will das bisweilen nicht gelingen.«
»Wir werden dich diese Kunst lehren«, sagte das andere Männchen, »sobald wir eine gute Mahlzeit im Magen und zwei im Sack haben. Wir sind herrenlose Wanderer, und auf Hunde verstehen wir uns besser als die meisten Leute.«
Orm sagte, mit leeren Säcken würde man sie nicht weiterwandern lassen, und damit lud er sie ins Haus ein.
»Und ihr kommt zu günstiger Stunde«, sagte er, »nämlich mitten in ein Festessen, und daher ist von allem reichlich vorhanden; es gibt sowohl Pfannkuchen wie auch anderes. Aber am besten wäre es für die Festteilnehmer, wenn du dich aufs Flöteblasen ebenso gut verständest wie aufs Pfeifen.«
Die beiden Männchen zwinkerten einander zu, sagten aber nichts, und alle vier folgten Orm auf den Hofplatz. Orm rief zu Ylva hinüber: »Hier siehst du Reisende jeder Größe, und eine Schüssel von deinem Festessen wird jedem von ihnen gut tun.«
Ylva schaute auf und nickte zustimmend; in Gedanken war sie noch mitten im Gespräch, aber nun fiel ihr Blick auf die Männchen. Ihre Augen wurden groß vor Staunen, und sie sprang von der Bank auf.
»Das sind ja Felimid und Feriad!« rief sie. »Die Meister von Erin! Die Gaukler meines Vaters! Ihr seid also noch am Leben! Warum, in Gottes Namen, streift ihr armen Freunde als Bettler umher? Seid ihr für eure Kunststücke zu alt geworden?«
Auch die Männchen schienen durch diese Begegnung betroffen; sie warfen lächelnd Stäbe und Beutel hin und taten einige Schritte auf Ylva zu, dann schlugen sie gleichzeitig einen Purzelbaum, wobei der eine auf den Händen stehenblieb und munter piepsend hin und her hüpfte; der andere rollte sich zu einem Knäuel zusammen und landete zu Ylvas Füßen. Dann sprangen sie schnell auf und grüßten sie auf höfische Art mit ruhiger Miene. »Wir sind nicht alt geworden«, sagte der eine, »das siehst du ja wohl selbst, du schönste unter den Töchtern König Haralds. Denn du sollst wissen, daß an solche Meister wie uns das Alter sich nicht heranwagt. Und doch ist es nun recht lange her, seit dein Vater dich auf den Knien hielt und du zum ersten Male unseren Spielen zuschautest. Aber heute sind wir hungriger als damals.«
Viele Gäste, Männer und Frauen, eilten nun herbei, um sich diese sonderbaren Leute, die auf den Händen hüpfen konnten, genauer anzuschauen; Ylva aber sagte, die Ankömmlinge sollten vor allem in Ruhe essen und trinken und wie die anderen anwesenden Gäste geehrt werden. Sie führte sie selbst in das Haus, ließ ihnen die besten Speisen vorsetzen, und zum Zugreifen brauchte keiner erst noch genötigt zu werden. Die Zwillinge und deren Spielkamerad waren mit hereingekommen und drückten sich still in einen Winkel, da sie hofften, die beiden Männchen würden noch einmal ihre Künste zeigen; und Orm erklärte den Neugierigen, die draußen geblieben waren, wer diese beiden Bettler eigentlich seien.
»Sie waren Gaukler bei König Harald«, sagte er, »und nun haben sie keinen Herrn; sie stammen aus Irland und sie sind weit und breit berühmt. Ich sah sie, als ich bei König Harald das Julbier trank; aber damals hatten sie sich mit
Weitere Kostenlose Bücher