Die Abenteuer des Röde Orm
oder sie machen einander zu Verschnittenen. Junge Frauen, auch wenn sie schön sind, setzen sie in geschlossene Steinhäuser und verbieten ihnen den Umgang mit Männern, und wer dagegen verstößt, wird lebend in ein Loch der Steinwand eingemauert und muß dort sterben. Es kommt auch vor, daß sie ihres Kaisers müde werden oder daß er oder seine Befehle ihnen mißfallen: dann bemächtigen sie sich seiner und seiner Söhne und halten ihnen so lange glühende Eisen dicht vor das Gesicht, bis sie erblinden. Alles das tun sie, weil sie Christen sind, denn sie halten es für ein geringeres Unrecht, zu verstümmeln als zu töten; und daraus mögt ihr sehen, welcher Art diese Menschen sind. Und wenn sie sich gegenseitig derartiges antun: wie würden sie da erst gegen uns verfahren, die wir nicht Christen sind, wenn sie erst einmal die Macht dazu haben. Darum möge jeder beizeiten bedenken, wie solcher Gefahr zu begegnen sei, ehe sie sich mehrt. Waren wir nicht soeben alle Zeugen, wie ein Christenpriester sich zu diesem Stein heranmachte und den Tod eines Mannes verschuldete, und das mitten unter den Frauen der Virden? Die Göinger haben ihn – vielleicht in böser Absicht – hierhergebracht; diese Sache geht also nur sie und die Virden an und betrifft uns Finnveder nicht. Aber gewiß wäre es gut, wenn man hier auf dem Thing bestimmte, daß alle Christenpriester, die zu den Göingern, den Virden und den Finnveden kommen, sofort getötet werden, statt daß man sie am Leben läßt und zu Knechten macht oder gar ihnen erlaubt, mit ihren seltsamen Gebräuchen und ihrem Geschwätz ungestört umherzuziehen; denn durch eine solche Bestimmung würde viel Unfug verhindert und dauerhafter Frieden leichter bewahrt werden.«
So sprach Olof Sommervogel, und bei seinen Worten nickten viele und schauten nachdenklich drein.
Er und die beiden anderen setzten sich nun auf die drei Häuptlingssteine, die auf dem Grasplatz vor dem Kraka-Stein lagen, und das Thing nahm seinen Anfang. Nach alter Sitte wurden zuerst die Zwistigkeiten vorgenommen, die auf dem Thingplatz entstanden waren, und daher kam der Magister zuerst an die Reihe. Ugge forderte Buße für den Tod des Styrkar und wollte wissen, wem dieser Christenpriester gehöre und was er hier auf dem Thing zu suchen habe. Als einer der Schöffen erhob sich Orm und sagte, er müsse den Priester ja wohl als ihm zugehörig betrachten, obschon er ein freier Mann und kein Knecht sei.
»Und einen, der friedlicher gesinnt ist, kann man lange suchen«, sagte er. »Er ist nicht gewalttätig, und das einzige, worauf er sich versteht, ist Singen und Schriften lesen und mit Frauen sich gut stellen. Und hierher kam er in einer Sache, aus der nun nichts mehr werden kann.«
Orm berichtete nun darüber und daß der Magister von Hedeby geschickt worden sei, um an Stelle eines anderen Priesters bei den Finnveden Knecht zu werden; die aber hätten jenen christlichen Knecht schon erschlagen.
»Und von diesem Totschlag kann später die Rede sein«, sagte er. »Aber wie es bei Styrkars Tod zugegangen ist, davon mögen Zeugen berichten, die dabei waren. Ich selbst glaube kaum, daß dieser Priester dazu taugt, jemand umzubringen.«
Sone, der Hellseher, meinte nun auch, daß Zeugen gehört werden müßten.
»Aber wie diese Sache auch ausgehen mag«, sagte er, »so soll sie doch nicht zu Uneinigkeit zwischen den Virden und Göingern führen. Daher sollst allein du, Ugge, in dieser Sache Recht sprechen. Der Mann ist Ausländer und wenig tauglich, und obendrein ist er Christ; darum wird wenig nach ihm gefragt werden, wie auch dein Urteil ausfällt. Und von uns Göingern kannst du keine Buße für das Geschehene verlangen, da er ja für uns ein Fremder ist.« Nun wurden die Zeugen verhört. Viele hatten Styrkar rücklings vom Stein fallen sehen und seinen lauten Schrei gehört, aber niemand konnte sagen, ob ihn von der anderen Seite des Steines ein Schlag getroffen hatte. Nicht einmal Toke Gragullesson, der zur Zwölfzahl der Virden gehörte und als erster zum Platz gekommen war, konnte mit Gewißheit darüber aussagen; aber er erklärte, daß das Kreuz in den Händen des Christenpriesters – dessen einzige Schlagwaffe – aus so schwachen Stäben gemacht war, daß es gewiß zum Töten einer Laus genügt hätte, nicht aber, um einem so zähen Leben wie dem des alten Fuchs Styrkar beizukommen. Er glaube daher, der Alte sei ausgeglitten und habe im Fall den Hals gebrochen; aber den besten Bescheid darüber
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