Die Abenteuer des Sherlock Holmes Bd.1
Lestrade, als wir bei einer Tasse Tee saßen. »Ich kenne Ihre energische Natur und weiß, daß Sie nicht glücklich sind, ehe Sie den Ort des Verbrechens gesehen haben.«
»Sie sind sehr nett und entgegenkommend«, antwortete Holmes. »Es ist nur eine Frage des Barometerdrucks.«
Lestrade sah ihn verdutzt an. »Ich kann nicht ganz folgen«, sagte er.
»Was zeigt das Barometer an? Neunundzwanzig, sehe ich. Kein Wind, und nicht eine Wolke am Himmel. Ich habe eine Schachtel Zigaretten, die geraucht sein will, und das Sofa ist sehr viel besser als die üblichen Abscheulichkeiten in Landhotels. Ich halte es nicht für wahrscheinlich, daß ich den Wagen an diesem Abend noch brauche.«
Lestrade lächelte nachsichtig. »Kein Zweifel, Sie haben sich Ihre Ansichten bereits nach den Zeitungsberichten gebildet«, sagte er. »Der Fall liegt sonnenklar, und je tiefer man sich hineinbegibt, desto klarer wird er. Dennoch darf man selbstverständlich einer Dame nicht widersprechen, zumal einer, die so bestimmt auftritt. Sie hat von Ihnen gehört und möchte Ihre Meinung erfahren, obwohl ich ihr wiederholt gesagt habe, daß Sie nichts tun könnten, was ich nicht bereits getan hätte. O weh, der Himmel schütze mich! da ist ihr Wagen schon vor der Tür.«
Er hatte kaum ausgesprochen, als eine der reizendsten jungen Frauen, die ich je in meinem Leben gesehen habe, in den Raum stürzte.
Die veilchenfarbenen Augen leuchteten, der Mund war geöffnet, rosa Glut lag auf den Wangen, jeder Gedanke an natürliche Zurückhaltung schien aufgegeben; Aufregung und Sorge hatten sie überwältigt.
»Oh, Mr. Sherlock Holmes!« rief sie, blickte zwischen uns hin und her und entschied sich schließlich mit schneller weiblicher Auffassungsgabe für meinen Partner. »Ich bin so glücklich, daß Sie hier sind. Ich bin gekommen, Ihnen das zu sagen. Ich weiß, James hat es nicht getan. Ich weiß es, und ich möchte, daß Sie das auch am Beginn Ihrer Arbeit schon wissen. Bitte, zweifeln Sie in diesem Punkt nie. Wir kennen uns, seit wir kleine Kinder waren, und ich kenne seine Fehler wie kein anderer; aber er hat ein so weiches Herz, daß er keiner Fliege ein Leid tun könnte. Eine solche Anklage ist absurd für jemanden, der ihn wirklich kennt!«
»Ich hoffe, wir können ihn frei bekommen, Miss Turner«, sagte Sherlock Holmes. »Sie können sich darauf verlassen, daß ich alles mir Mögliche tun werde.«
»Aber Sie haben die Beschuldigungen gelesen. Haben Sie schon Schlußfolgerungen gezogen? Sehen Sie nicht einen Ausweg, eine Rettung? Glauben Sie nicht selbst, daß er unschuldig ist?«
»Ich halte das für sehr möglich.«
»Also!« rief sie, warf den Kopf herum und blickte triumphierend auf Lestrade. »Da hören Sie es! Er macht mir Hoffnung.«
Lestrade zuckte die Schultern. »Ich fürchte, daß mein Kollege ein bißchen vorschnell mit seinen Schlüssen ist«, sagte er.
»Aber er hat recht. Oh! ich weiß, daß er recht hat. James hat es nie und nimmer getan. Und was den Streit mit seinem Vater angeht, ich bin gewiß, daß der Grund, weshalb er dem Coroner nichts sagen wollte, darin liegt, weil es mich betrifft.«
»Inwiefern?« fragte Holmes.
»Ich darf jetzt nichts mehr verbergen. James und sein Vater hatten meinetwegen viele Meinungsverschiedenheiten. Mr. McCarthy wollte so sehr, daß wir beide heiraten. James und ich haben uns immer liebgehabt, wie Bruder und Schwester, aber natürlich ist er jung und hat noch sehr wenig vom Leben gesehen, und… und… Nun, deshalb wollte er in dieser Beziehung jetzt noch nichts übernehmen. So gab es Streit, und der jetzt, bin ich sicher, war wieder so einer.«
»Und Ihr Vater?« fragte Holmes. »War er für diese Verbindung?«
»Nein, er war auch dagegen. Niemand außer Mr. McCarthy hat sie gewollt.« Ihr frisches Gesicht wurde hochrot, als Holmes ihr einen seiner scharfen fragenden Blicke zuwarf.
»Ich danke Ihnen für die Information«, sagte er. »Kann ich morgen Ihren Vater sprechen?«
»Ich fürchte, der Arzt wird es nicht erlauben.«
»Der Arzt?«
»Ja, haben Sie denn nicht gehört? Mein armer Vater ist seit Jahren nicht kräftig, aber darüber ist er völlig zusammengebrochen. Man hat ihn ins Bett gebracht, und Dr. Willows sagt, daß er ein Wrack ist, daß sein Nervensystem zerrüttet ist. Mr. McCarthy war der einzige, der Papa seit den alten Tagen in Victoria kannte.«
»So! Seit Victoria! Das ist
Weitere Kostenlose Bücher