Die Abenteuer des Sherlock Holmes Bd.1
verpflichtet gewesen sein soll, auch noch von der Verehelichung seines Sohnes mit Turners Tochter redete, der voraussichtlichen Erbin des Besitztums, und das in einer so sicheren Manier, als wäre es ein gewöhnlicher Heiratsantrag und alles andere folge von selbst? Noch seltsamer wird das, seit wir wissen, daß Turner der Idee entgegenstand. Das hat uns die Tochter mitgeteilt. Leiten Sie aus alledem nichts ab?«
»Wir sind bei den Schlüssen und Folgerungen angelangt«, sagte Lestrade, mir zuzwinkernd. »Ich finde es schwer genug, mit den Fakten fertig zu werden, Holmes, ohne Theorien und Phantasien hinterherzufliegen.«
»Sie sind mir der Richtige«, sagte Holmes pikiert, »Sie finden es schwer, mit den Fakten fertig zu werden.«
»Immerhin habe ich ein Faktum begriffen, das anscheinend nicht in Ihren Kopf will«, entgegnete Lestrade leicht hitzig.
»Und das wäre?«
»Daß McCarthy senior durch McCarthy junior zu Tode gekommen ist und daß alle gegenteiligen Theorien der reinste Mondschein sind.«
»Nun, Mondschein ist ein heller Ding denn Nebel«, sagte Holmes lachend. »Aber ich müßte mich sehr irren, wenn das hier links nicht die Hatherley-Farm ist.«
»Ja, das ist sie.«
Es war ein geräumiges, behaglich wirkendes Gebäude, zweistöckig, schiefergedeckt, an dessen grauen Wänden große Flecken gelber Flechten wucherten. Die zugezogenen Vorhänge und die rauchlosen Kamine ließen es jedoch aussehen, als laste das Entsetzen schwer auf ihm. Wir klopften, und das Dienstmädchen zeigte uns auf Holmes’ Verlangen die Stiefel, die ihr Herr zur Zeit seines Todes getragen hatte, ebenso die des Sohnes, wenn auch nicht das Paar, das er an dem Tage trug. Nachdem er an ihnen sehr sorgfältig sieben oder acht verschiedene Messungen vorgenommen hatte, bat Holmes, auf den Hof geführt zu werden, von wo aus wir dem gewundenen Pfad zum Weiher von Boscombe folgten.
Holmes war wie verwandelt, wenn er sich wie jetzt auf einer frischen Fährte befand. Leute, die nur den ruhigen Denker und Logiker aus der Baker Street vor Augen haben, hätten ihn nicht wiedererkannt. Sein Gesicht war gerötet und dunkler. Seine Brauen waren zu deutlich markierten schwarzen Strichen zusammengezogen, die Augen leuchteten unter ihnen mit stählernem Glanz hervor. Das Gesicht hielt er nach unten gerichtet, der Rücken war gewölbt, der Mund zusammengepreßt, und die Adern standen an seinem langen sehnigen Hals wie Peitschenschnüre heraus. Seine Nasenflügel schienen in rein tierischer Jagdlust zu beben, und sein Geist war so ausschließlich auf das vor ihm Liegende gerichtet, daß eine Frage oder Bemerkung unbeachtet in seine Ohren drang oder höchstens ein rasches ungeduldiges Knurren als Antwort hervorlockte. Schnell und schweigsam verfolgte er die Fährte, die durch Wiesen verlief und sich im Wald fortsetzte. Es war feuchter, sumpfiger Boden, wie überall in der Gegend, und da gab es Abdrücke von vielen Füßen, sowohl auf dem Pfad wie auf dem kurzen Gras zu beiden Seiten. Bald eilte Holmes voran, bald stand er starr, und einmal machte er einen kleinen détour über die Wiese. Lestrade und ich schritten hinter ihm her, der Detektiv gleichgültig und hochmütig, während ich meinen Freund mit einem Interesse beobachtete, das der Überzeugung entsprang, jede seiner Unternehmungen sei auf einen bestimmten Zweck gerichtet.
Der Weiher von Boscombe ist eine kleine, schilfgesäumte, etwa fünfzig Yard breite Wasserfläche an der Grenze zwischen der Hatherley Farm und dem Gutspark des Mr. Turner. Über den Bäumen am jenseitigen Ufer, dort, wo das Anwesen des reichen Gutsbesitzers lag, sahen wir die roten Turmspitzen ragen. Auf der Seite des Weihers nach Hatherley zu stand der Wald sehr dicht, und zwischen ihm und dem Röhricht zog sich nur ein schmaler, zwanzig Schritt breiter Gürtel faulenden Grases, das den Teich säumte. Lestrade zeigte uns die Stelle, wo man die Leiche gefunden hatte. Der Boden war hier so naß, daß ich deutlich die Spuren sehen konnte, die der Fall des getroffenen Mannes hinterlassen hatte. Holmes, das erkannte ich an seinem eifrigen Gesicht und den spähenden Augen, las noch vieles andere aus dem zertrampelten Gras. Er lief im Kreis wie ein Hund, der Witterung nimmt, und dann wandte er sich an meinen Begleiter.
»Weshalb sind Sie in den Teich gegangen?« fragte er.
»Ich habe mit einem Rechen darin herumgefischt. Ich dachte eine Waffe zu finden oder eine andere Spur.
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