Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Abenteuer des Sherlock Holmes

Die Abenteuer des Sherlock Holmes

Titel: Die Abenteuer des Sherlock Holmes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Conan Doyle
Vom Netzwerk:
aufgestoßen worden war und ein riesiger Mann wie eingerahmt in der Öffnung stand. Seine Kleidung war eine merkwürdige Mischung professioneller und ländlicher Dinge; er trug einen schwarzen Zylinder, einen langen Gehrock und ein Paar hoher Gamaschen; in seiner Hand schwang er eine Jagdpeitsche. Er war so groß, daß sein Hut an den oberen Türbalken stieß, und seine Masse schien den Rahmen ganz auszufüllen. Ein breites Gesicht, übersät von tausend Runzeln, von der Sonne gelb gebrannt und von den Malen aller schlimmen Leidenschaften gezeichnet, wandte sich uns beiden abwechselnd zu, und seine tiefliegenden galligen Augen und die hohe, dünne, fleischlose Nase verliehen ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit einem wilden alten Raubvogel.
    »Wer von Ihnen ist Holmes?« fragte diese Erscheinung.
    »Das ist mein Name, Sir, aber damit sind Sie mir gegenüber im Vorteil«, sagte mein Gefährte ruhig.
    »Ich bin Dr. Grimesby Roylott aus Stoke Moran.«
    »Tatsächlich, Doktor?« sagte Holmes sanftmütig. »Bitte nehmen Sie Platz.«
    »Ich werde nichts derartiges tun. Meine Stieftochter war hier. Ich bin ihr gefolgt. Was hat sie Ihnen erzählt?«
    »Es ist ein wenig kalt für diese Jahreszeit«, sagte Holmes.
    »Was hat sie Ihnen erzählt?« schrie der alte Mann wütend.
    »Aber soviel ich gehört habe, sind die Krokusse vielversprechend«, fuhr mein Gefährte unerschütterlich fort.
    »Ha! Sie weichen mir aus, wie?« sagte unser neuer Gast; er machte einen Schritt vorwärts und schüttelte seine Jagdpeitsche. »Ich weiß Bescheid über Sie, Sie Schurke! Ich habe schon von Ihnen gehört. Sie sind Holmes, der seine Nase in alles hineinsteckt.«
    Mein Freund lächelte.
    »Holmes der Wichtigtuer!«
    Das Lächeln wurde breiter.
    »Holmes, der Bürohengst von Scotland Yard.«
    Holmes kicherte herzlich. »Ihre Konversation ist höchst unterhaltsam«, sagte er. »Wenn Sie gehen, schließen Sie doch bitte die Tür, es zieht ganz entschieden.«
    »Ich werde gehen, wenn ich gesagt habe, was ich sagen will. Wagen Sie es ja nicht, sich in meine Angelegenheiten einzumischen. Ich weiß, daß Miss Stoner hier war – ich bin ihr gefolgt! Es ist gefährlich, sich mit mir anzulegen! Sehen Sie her.« Er trat schnell vor, ergriff den Schürhaken und verbog ihn mit seinen riesigen braunen Händen.
    »Sehen Sie zu, daß Sie mir nicht in die Hände fallen«, knurrte er; er schleuderte den verbogenen Schürhaken in den Kamin und stampfte aus dem Raum.
    »Er scheint eine sehr liebenswerte Person zu sein«, sagte Holmes lachend. »Ich bin nicht ganz so massiv gebaut, aber wenn er geblieben wäre, hätte ich ihm zeigen können, daß mein Händedruck nicht viel schwächer ist als seiner.« Dabei nahm er den stählernen Schürhaken auf und bog ihn mit einer jähen Anstrengung wieder gerade.
    »Stellen Sie sich diese Unverschämtheit vor, mich mit den amtlichen Detektiven zu verwechseln! Immerhin gibt dieser Zwischenfall aber unserer Ermittlung neuen Auftrieb, und ich kann nur hoffen, daß unsere kleine Freundin nicht unter ihrem Leichtsinn leiden muß, weil sie es diesem Grobian möglich gemacht hat, sie zu verfolgen. Und nun, Watson, wollen wir unser Frühstück kommen lassen, und anschließend werde ich mich zum Zivilgerichtshof begeben, wo ich einige Daten zu erhalten hoffe, die uns in dieser Sache nützlich sein könnten.«
     
    Es war fast ein Uhr, als Sherlock Holmes von seinem Ausflug heimkehrte. In der Hand hielt er ein Blatt blauen Papiers, das mit Zahlen und Notizen vollgekritzelt war.
    »Ich habe das Testament der verstorbenen Gattin gesehen«, sagte er. »Um seine genaue Bedeutung zu erfassen, mußte ich den augenblicklichen Wert der Investitionen errechnen, auf die es Bezug nimmt. Die Gesamtsumme der Einkünfte, die zur Zeit des Todes der Frau knapp unter 1100 Pfund lag, beläuft sich heute wegen des Verfalls der landwirtschaftlichen Preise auf nicht mehr als 750 Pfund. Im Fall der Eheschließung kann jede Tochter ein Einkommen von 250 Pfund beanspruchen. Es ist daher offensichtlich, daß, wenn beide Mädchen geheiratet hätten, dieser schöne Nachlaß nur noch ein Almosen wäre, und sogar eine einzige Heirat würde die Finanzen des Mannes ernstlich beschneiden. Meine Morgenarbeit war also nicht vergebens, denn sie hat den Beweis dafür geliefert, daß er sehr starke Motive hat, sich solchen Veränderungen entgegenzustellen. Also los, Watson; das ist viel zu ernst, als daß man viel Zeit vertrödeln dürfte, vor allem da der alte Mann

Weitere Kostenlose Bücher