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Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Die Abenteuer von Aguila und Jaguar

Titel: Die Abenteuer von Aguila und Jaguar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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sie könnten alle ein bisschen Ablenkung gebrauchen, und bat Alex, Flöte zu spielen, so dass für eine Weile die zarte, kristallklare Musik den Urwald erfüllte. Borobá, das Äffchen, lauschte der Melodie und wiegte den Kopf im Takt. César Santos und Dr. Omayra Torres hockten am Lagerfeuer und brieten ein paar Fische fürs Abendessen. Kate Cold, Timothy Bruce und einer der Soldaten waren damit beschäftigt, die Zelte festzuzurren und die Lebensmittelvorräte für Affen und Ameisen unerreichbar zu verstauen. Karakawe und der andere Soldat hielten ihre Pistolen schussbereit und starrten aufmerksam in die anbrechende Dunkelheit. Professor Leblanc sprach die Gedanken, die ihm durch den Kopf gingen, in ein kleines Aufnahmegerät, das er jederzeit zur Hand hatte, denn andauernd kam ihm eine tiefschürfende Erkenntnis, die der Menschheit ja nicht verloren gehen durfte, was Alex und Nadia mittlerweile so unsäglich fanden, dass sie nur noch auf eine Gelegenheit lauerten, um ihm die Batterien zu klauen. Alex spielte schon gut eine Viertelstunde, da wurde Borobá urplötzlich von etwas abgelenkt; der Affe begann herumzuhüpfen und zerrte aufgeregt an den Kleidern seiner Herrin. Erst versuchte Nadia, ihn nicht zu beachten, aber das Tier ließ sie nicht in Ruhe, bis sie aufstand. Sie spähte ins Dickicht, dann gab sie Alex einen Wink, und der kam schlendernd hinter ihr her und ließ dabei das Konzertstück ausklingen, bis sie unbemerkt von den anderen aus dem Lichtschein des Lagerfeuers getreten waren.
    »Ssscht!«, zischte Nadia und hob einen Finger an die Lippen.
    Noch war es nicht ganz dunkel, aber die Farben verblassten bereits, und der Wald hüllte sich in Grau- und Schwarztöne. Das Gefühl, dass sie beobachtet wurden, hatte Alex nicht verlassen, seit sie in Santa María de la Lluvia aufgebrochen waren, aber an eben diesem Nachmittag hatte es sich verflüchtigt. Die Angst war von ihm abgefallen, und er fühlte sich so sicher wie schon lange nicht mehr. Auch der durchdringende Gestank, der in der vergangenen Nacht den Mord an dem Soldaten begleitet hatte, war verschwunden. Alex, Nadia und Borobá gingen einige Schritte ins Unterholz hinein und blieben dann, eher neugierig als beunruhigt, stehen.Sie mussten nicht darüber reden, es war auch so klar, dass die Indianer, falls es hier welche gab, die ihnen etwas antun wollten, das längst hätten tun können, denn im hellen Schein des Lagerfeuers waren die Expeditionsteilnehmer den Giftpfeilen von Bogen und Blasrohren schutzlos ausgeliefert.
    Während sie reglos warteten, hatten sie das Gefühl, in einem watteweichen Nebel zu versinken, als würden mit Einbruch der Nacht alle gewohnten Anhaltspunkte verschwimmen. Dann, ganz allmählich, erkannte Alex, dass sie umringt waren von Gestalten, die sich jetzt eine nach der anderen aus dem Zwielicht lösten. Sie waren nackt, die Gesichter mit Streifen und Punkten bemalt, die Arme mit Federn und Lederbändern geschmückt, stumm, schwerelos und unbewegt. Obwohl sie so nah waren, konnte man sie kaum erkennen; sie waren eins mit dem Wald wie ein flüchtiger Spuk. Alex schätzte, dass es mindestens zwanzig sein mussten, alles Männer mit einfachen Waffen in der Hand.
    »Aía«, wisperte Nadia.
    Keine Antwort, aber ein kaum wahrnehmbares Rascheln im Laubwerk zeigte an, dass die Indianer näher kamen. In dieser Dunkelheit und ohne seine Brille zweifelte Alex an dem, was er da sah, aber sein Herz raste wie wahnsinnig, und er spürte, wie sein Blut in den Schläfen pochte. Dieses atemberaubende Gefühl, einen Traum zu erleben, hatte er schon einmal gehabt: als er im Camp von Mauro Carías vor dem schwarzen Jaguar gestanden hatte. Auch jetzt lag wieder eine Spannung in der Luft, als befänden sie sich alle im Innern einer Glaskugel, die jeden Augenblick bersten konnte. Die Gefahr war so greifbar wie bei seiner Begegnung mit der Raubkatze, aber Alex hatte keine Angst. Diese fast körperlosen Gestalten, die zwischen den Bäumen zu schweben schienen, würden ihm bestimmt nichts tun. Auf die Idee, sein Schweizer Messer zu zücken oder um Hilfe zu rufen, kam er gar nicht. Dagegen durchzuckte ihn wie ein Blitz die Erinnerung an eine Filmszene, die er vor Jahren gesehen hatte: Ein Kind begegnet einem Außerirdischen. Das hier war so ähnlich. Er war ganz verzaubert, für nichts in der Welt hätte er diese Erfahrung hergeben wollen.
    »Aía.« Nadia versuchte es noch einmal.
    »Aía«, flüsterte auch Alex.
    Keine Antwort.
    Hand in Hand standen die

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