Die Abenteuer von Sherlock Holmes
hätte. Wir haben uns immer selber geholt, was wir brauchten."
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"Es scheint wirklich unnütz gewesen zu sein, einen so schönen Klingelzug hier anzubringen. Entschuldigen Sie mich ein paar Minuten, ich will meine Neugier hinsichtlich des Fußbodens befriedigen."
Er warf sich nieder, die Lupe in der Hand, und kroch geschwind vor und zurück, genauestens die Ritzen zwischen den Brettern in Augenschein nehmend. Dieselbe Untersuchung stellte er am Paneel an. Schließlich ging er zum Bett und verbrachte einige Zeit damit, es anzustarren; dann schickte er seine Blicke die Wand hinauf und hinunter. Am Ende faßte er den Klingelzug und riß energisch an ihm.
"Das ist eine Attrappe", sagte er. "Schellt es nicht?"
"Nein, er hat nicht einmal eine Drahtverbindung. Das ist interessant.
Sehen Sie doch: Der Zug hängt an einem Haken, genau über dem kleinen Lüftungsloch."
"Wie sinnlos! Das ist mir noch nie aufgefallen."
"Sehr seltsam!" murmelte Holmes und zog wieder an dem Strang.
"In diesem Zimmer gibt es einige äußerst ungewöhnliche Einrichtungen. Was für ein Narr muß zum Beispiel der Baumeister gewesen sein, daß er eine Entlüftung in ein anderes Zimmer geführt hat, da er mit gleichem Aufwand eine Verbindung zur frischen Luft von draußen hätte herstellen können."
"Das Loch ist auch ziemlich neu."
"Zur selben Zeit wie der Glockenzug angebracht", bemerkte Holmes.
"Ja, damals wurden einige kleine Veränderungen vorgenommen."
"Bemerkenswerte Veränderungen
- die Attrappe eines
Klingelzuges, eine Entlüftung, durch die keine Frischluft kommt. Mit Ihrer Erlaubnis, Miss Stoner, setzen wir unsere Untersuchung im nächsten Raum fort."
Dr. Grimesby Roylotts Zimmer war größer als das seiner
Stieftochter, aber ebenso karg eingerichtet. Ein Feldbett, ein kleines Holzregal voller Bücher, die sich hauptsächlich mit Technik befaßten, neben dem Bett ein Lehnsessel, an der Wand ein einfacher Holzstuhl, ein runder Tisch und ein großer eiserner Safe. Das waren die hauptsächlichen Dinge, die das Auge erfaßte. Holmes ging langsam umher und betrachtete alles mit höchstem Interesse.
"Was ist da drin?" fragte er und klopfte auf den Safe.
"Die Geschäftspapiere meines Stiefvaters."
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"Oh, sie haben schon hineingeschaut?"
"Nur einmal, vor Jahren. Ich erinnere mich, daß er voller Papiere war."
"Da ist zum Beispiel keine Katze drin?"
"Nein. Was für eine seltsame Idee."
"Aber dann sehen Sie sich dies an!" Er hob eine Untertasse mit Milch hoch, die auf dem Safe stand.
"Nein, wir halten keine Katze. Aber es gibt einen Leoparden und einen Pavian."
"Ach ja, natürlich! Ein Leopard ist ja auch eine große Katze, aber ich würde sagen, daß eine Untertasse voll Milch seine Bedürfnisse nicht so ganz befriedigt. Über einen Punkt möchte ich doch genau Bescheid wissen." Er hockte sich vor den Holzstuhl und untersuchte den Sitz mit größter Aufmerksamkeit.
"Danke. Das hätten wir", sagte er, erhob sich und steckte die Lupe in die Tasche. "Hallo, das ist aber interessant!"
Der Gegenstand, dem er sich nun widmete, war eine kurze
Hundepeitsche, die am Bettpfosten hing. Sie war zusammengerollt und verknotet, als hätte der Mann aus der Peitschenschnur eine Schlinge machen wollen.
"Was halten Sie davon, Watson?"
"Es ist eine ganz gewöhnliche Hundepeitsche. Aber ich kann mir nicht denken, warum sie verknotet wurde."
"Das ist nicht ganz das Übliche, nicht wahr? Ah ja, es ist schon eine verderbte Welt und wenn ein schlauer Mann seine Gedanken aufs Verbrechen richtet, dann ist sie am bösesten. Ich glaube, Miss Stoner, ich habe genug gesehen. Wir gehen jetzt, mit Ihrer Erlaubnis, hinaus auf den Rasen."
Das Gesicht meines Freundes war mir nie so streng vorgekommen, seine Stirn nie so finster wie in dem Augenblick, da wir den Schauplatz dieser Untersuchungen verließen. Wir gingen mehrere Male über den Rasen und weder Miss Stoner noch ich wollten den Lauf seiner Gedanken unterbrechen. Schließlich riß er sich aus seinem Brüten.
"Es ist lebenswichtig, Miss Stoner", sagte er, "daß Sie meine Anweisungen in allem befolgen."
"Das werde ich ganz gewiß tun."
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"Die Sache ist zu ernst, als daß wir auch nur eine Sekunde zögern dürften. Ihr Leben kann von der Befolgung abhängen."
"Ich versichere Ihnen, daß ich mich Ihnen ganz anvertraue."
"Vor allem müssen wir, mein Freund und ich, die Nacht in Ihrem Zimmer verbringen."
Miss Stoner und ich sahen ihn erstaunt an.
"Ja, es muß sein.
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