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Die Abschaffung der Arten

Die Abschaffung der Arten

Titel: Die Abschaffung der Arten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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fuhren durcheinander und warnten den Rest der verzettelten Karawane mit Rufen. Aber es nützte nichts, die Spannkraft der hopsenden Beine des Hungrigen war zu groß, der Appetit zu gewaltig. Evolution: Man tat, was funktionierte, und nahm, was man kriegen konnte.
6. Gefangenschaft
    »Du wolltest das Museum sehen, die Akademie auskundschaften? Hier ist das Museum. Hier ist die Akademie.«
    Feuer kannte die Stimme. Viel tat ihm weh, die Rippen, der Rücken, die Schläfen, die bleiernen Reifen an den Hand- und Fußgelenken, am meisten aber der Stolz: Als er das gesunde Auge öffnete, war ihm sogleich klar, daß man ihn in einem Rahmen aufgezogen hatte, als wäre er eine Leinwand oder ein Tierfell, das jemand zu gerben vorhatte. Auch sah er, daß er nackt war, aber nicht wie früher, bei sich, bei den Freunden mit Fell, sondern als Zeichen, daß man ihn unterworfen hatte, daß man ihm weggenommen hatte, was bei diesen Barbaren zur Identität gehörte, die Kleidung.
    »Schau mich an, wenn ich mit dir rede.« Widerwillig drehte Feuer den Kopf in die Richtung, in die der starke Griff einer fleischigen Hand sein Kinn zog. Im taghellen Kunstlicht von der Decke erkannte er den, der vor ihm stand: Preisnitel, der Spaziergänger. Wenn es nicht so durchschaubar, so erwartbar gewesen wäre, hatte Feuer lachen können. Er grunzte: »Wo ist Pyretta? Deine Tochter? Hast du sie schon geschwängert?« Preisnitel spie ihm ins Gesicht und griente. Zwei Schinder, die hinter ihm standen, fanden's auch zum Glucksen.
    »Und Zagreus. Wo ist Zagreus?«
    »Er meint den Stahlkerl. Den Cyborg«, sprang einer der Gehilfen Preisnitel bei, der die Stirn in Falten legte. »Ah«, sagte er, »dein Fahrzeug«, und ließ die kleinen Äuglein blinzelnd in Geheimnisse hineinlinsen, die es nicht gab. Feuer versuchte wieder, einen Gedanken aufzuschnappen, irgend etwas, was sein Gegenüber wußte, wollte, war. Nichts, Totenstille.
    Preisnitel sagte: »Den haben wir zerlegt und verbrannt. Kein Funke mehr übrig. Du bist allein und solltest dir klarmachen, was das ... Ficken!« – er schrie und geiferte, denn Feuer hatte ihm mit ganzer Kieferkraft in zwei seiner Knubbelfinger gebissen. Hiebe, Tritte, Rütteln an Fesseln waren die Folgen.
    Man warf ihn, als sich die allgemeine Wut erschöpft hatte, »zum Abkühlen« – meinte das ihn oder die Schläger? – in einen Raum, der kalt und dunkel war. Am Boden tastete Feuer mit geschwollenen Händen nur Kälte, noch klirrender, noch frostiger als draußen, im Fahrtwind, auf den Brücken, unter den Kränen und Türmen.
    Er hatte sehr viel Zeit zum Nachdenken, bevor man wieder hineinleuchtete und ihn ins grelle Licht zerrte, wo man ihm viele Fragen stellte.
    Seine Gedanken waren sehr flach, sehr klein, fast dimensionslos nichtig; es war, als tötete die Stadt alle Ideen ab, als wäre es hier überhaupt nicht möglich (nicht nötig?), irgendeinen Gedanken zu fassen und zu formen.
    »Wer bist du?« – das Gesicht in Eiswasser.
    »Woher kommt du?« – und ein Stromstoß, Elektroden an den Brustwarzen, an den Hoden, an den grün und blau geschlagenen Armen und Beinen.
    »Wohin willst du?« – Fragen ohne Zweck, was die Folterer sogar eingestanden: »Wir wissen ohnehin«, sagte Preisnitel, »wer du bist und was du willst und woher du kommst. Wir wissen viel mehr als du – über die Partiale, die Setzlinge, über die inferentielle Schichtung der vielen Gedächtnisse in deinem Kopf. Wir wollen nur, daß du das anerkennst, dann können wir uns unterhalten.«
    Uns unterhalten – ein Angebot, mit seltsam samtener Höflichkeit unterbreitet, denn nach jeder siebten oder achten Gewalttat verspürte Preisnitel offenbar eine bizarre Lust, sich als im Grunde konzilianten, dem gewaltfreien Gespräch zugeneigten Freund zu inszenieren. Wenig wußte Feuer zu antworten; ab und zu versuchte er es mit Lachen, mit Weinen auch, einmal spuckte er einen Zahn vor Preisnitels Füße, die in schönen Stiefeln steckten, viel feiner geschnitten, viel weniger grob als die, die Zagreus dem Prinzen als Teil seiner nutzlosen Verkleidung aufgeschwatzt hatte.

    Ab und zu gaben sie ihm zu essen – trockene, nach Sand und Seife schmeckende, kloßartige Knoten, zähe, säuerliche Soße, abgestandenes Wasser, kein Brot, keine Kräuter, überhaupt nichts, was er als Essen akzeptiert hätte, wenn seine Wünsche noch eine Rolle gespielt hätten. Man konnte es kauen, man konnte es schlürfen, zwischen aufgeplatzten Lippen, man konnte es schlucken, man

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