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Die Abschaffung der Arten

Die Abschaffung der Arten

Titel: Die Abschaffung der Arten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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»Ich will tun, was ihr verlangt. Ich will mit euch«, wie sagten sie, ach ja: »zusammenarbeiten, ich will ... den Frieden sichern helfen ... kein Krieg mehr ... keine Provokation ... ich bin ... man hat mich angestiftet, falsch angeleitet ... ich will alle Fragen beantworten, wenn ihr sie nur endlich ... so stellt ... daß ich sie auch verstehen kann. Ihr haltet mich für besser ausgebildet, als ich bin ...«
    Die Tür öffnete sich tatsächlich.
    Preisnitel, Pyretta und ein paar andere traten ein. Die Frau gab ihm zu trinken, half ihm, sich aufzusetzen, strich ihm mit ihrer wohlriechenden Hand über die Stirn, er aber wunderte sich nur, wie seine Stimme geklungen hatte: höher und weicher, anders als erwartet, und als er sich verschluckte und an den Hals faßte, um hustend, keuchend sich wieder in die Gewalt zu bekommen, spürte er beim Tasten, daß sein Adamsapfel verschwunden war. Der Schildknorpel hatte sich zurückgebildet, die Länge der Stimmbänder hatte sich verändert, wie ging das zu? Feuer hatte keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, man brachte ihn, der so schwach war, daß er sich auf zwei der Schläger stützen mußte, in angenehmere Quartiere, wusch ihn, kleidete ihn neu ein, reichte ihm anständige Nahrung: Früchte, die er nicht kannte, auch ein mit Rosinen versetztes Fladenbrot, das er zunächst zu seiner Scham und seinem Ärger nicht bei sich behalten konnte.
    Er durfte schlafen. Beim Frühstück klappte das Essen schon besser.
    Aus dem rückwärtigen Fenster sah er, während er im mittels schöner Scheiben genau dosierten Tageslicht stand wie in einem Wasserfall, auf den Innenhof der Akademie und erkannte, daß es hier im Weißen Tiger also doch auch schöne Bauten gab – »Innenhof«, absurde Verniedlichung im Grunde, das dort war eine eigene Stadt in der Stadt, mit verglasten, doppelschaligen, biotisch verdrehten Wohntürmen für die Elite, auch zusätzlichen Labors und Bibliotheken, die anders als die im Hauptwall der Akademiefestung nicht aus geschlossenen Baukörpern, sondern blasenartigen Modulen bestanden, unter sonnenkollektorenbesetzten Hauben mit unterschiedlichsten Neigungswinkeln, überwuchert von Kraut und Gras. Viele dieser Bauten, erkannte Feuer, der sich an die Lektionen des Vaschen gut erinnerte, waren Muschelformen der alten Welt nachempfunden: die spitzen Türme aufgerichteten Varianten von Cerithium, andere nach Rhinoclavis oder Terebralia, und eine schneckenartige Struktur entsprach einem Muscheltyp, der passenderweise Architectonica nobilis hieß.
    Zwischen diesen Schönheiten verstreut, wie mit lockerer Hand eines vernünftigen und kunstsinnigen Gottes, sah man Freilichtauditorien, Piazzen, harmonische Gärten und Bäche und Übergange, kleine Seen, ein epidaurosartiges Theater ... Konnten Leute böse sein, die so luftig wohnten?
    Feuer biß in einen Apfel, vermutlich von einem der Bäume da draußen, und spürte eine Dankbarkeit, die ihn ein klein wenig anwiderte.
    Sogar ein kleines Bad, erdhimmelblau gekachelt, mit einer eigenen Toilette, stellte man ihm jetzt gnädig zur Verfügung – hätte er die Wirkung seiner Kapitulation vorausgesehen, er hätte vor irdischen Wochen drangegeben, was er ohnehin nicht besaß: seine Verfügung über die eigenen Pläne.
    Sein Penis war geschrumpft, verschrumpelt, kaum konnte er damit noch richtig pinkeln. Die Hoden hatten sich, wie er eher detachiert als betroffen bemerkte, ein gutes Stückchen in den Bauch zurückgezogen – waren das, abermals, Haftfolgen, oder geschah etwas anderes mit ihm? Er betastete die Hügelchen unterm Brustbein, ebenmäßig, apfelartig, mit straff gespannter Haut, die milchig war, darunter feinste Adern – haben die das gemacht, mache ich das selbst, oder ist es was Drittes?

    Im neuen Verhörzimmer saß er auf einem zwar nicht gepolsterten, aber ergonomisch angenehmen Stuhl an einem Tisch, auf dem eine Tasse Kaffee stand, einer erfreulich ausgeschlafenen Pyretta gegenüber.
    »Also gut«, sie legte das Buch hin, zerlesen, gewellt – es war sein Handexemplar, »du hast drum gebeten, daß die Fragen einfacher werden. Du weißt, was Inferentialismus ist?«
    »Ja. Die Bewußtseinstheorie der späten Gente. Izquierda hat das entwickelt, aus Vorarbeiten, die bis in die Langeweile zurückreichen.«
    »Und worin besteht diese Lehre?«
    »Sie gestaltet ... den Gedanken aus, daß eine Bedeutungseinheit – ein Rechenzeichen, ein Wort – ihre Bedeutung nicht vom Bezug auf eine Sache oder von den Absichten

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