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Die Abschaffung der Arten

Die Abschaffung der Arten

Titel: Die Abschaffung der Arten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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Schmierentheater.

    Höchste Zeit, das Arbeitsbesteck auszupacken – Stufe Eins: Hartnäckigkeit.
    »Frau Späth, ich bin vielleicht kein Kenner Neuer Musik, aber ich weiß, wie man solche Partnerschaften zur maximalen beidseitigen Zufriedenheit ...«
    »Beiderseitigen. Kein Ahnung, wer ich bin«, grummelte sie und kramte in einem kippgefährdeten Zeitungs- und Papierfetzenstapel, »keinen Schimmer, die krude Sau.«
    »Sie mögen mich nicht ...«, setzte Ryu erneut an, da nahm die Komponistin eine Stimmgabel von einem Stapel alter SPIEGEL-Ausgaben, schlug sie gegen die Lehne ihres Stuhles, hielt sie in die Höhe und sagte: »Stimmt«, dann warf sie das Gerät achtlos in den hinteren Teil des Raums, zu irgendwelchem anderen Müll.
    Schön, bitte, also Stufe Zwei: Zeit für Ryus hervorragendes Gedächtnis, das ihm erlaubte, auch kürzestfristige Crash-Kurse über potentielle Förderkinder sofort bei sich zu behalten und den Lehrinhalt selbst in härtesten Verhandlungssituationen adäquat parlando wiederzugeben.
    »Er hat mir gesagt, daß Sie von allen, die heute arbeiten, vielleicht die einzige Person sind, bei der die zentrale Lektion von Iannis Xenakis Früchte getragen hat ...«
    Cordula Späth setzte sich auf ihren gepolsterten Bürostuhl, kippelte nach hinten, verschränkte, an der Zigarre zutzelnd, die starken Arme hinterm Kopf und sagte: »Mmmmhhhboah die zentrale Lektion von Iannis Xenakis, hört hört, und was is das nu für eine?«
    »Musik ist keine Sprache.«
    Ryu hatte das nachlesen müssen und wußte nicht unbedingt, was es bedeuten sollte, aber es schien sich gelohnt zu haben, den Satz zu zitieren, denn jetzt erkannte er das erste Mal einen Funken von Interesse in ihrem Gesicht.
    Sie senkte die Lider, ein wenig nur, als wäre sie auf eine stark durchgeistigte Parodie des sogenannten Schlafzimmerblicks aus: »Das genaue Zitat lautet: ›Musik ist keine Sprache. Mit seinen komplexen Formen, Furchen und eingravierten Mustern auf der Oberfläche und im Innern gleicht jedes Musikstück einem Felsblock, den Menschen auf unzählige Arten entziffern können, ohne je die richtige oder beste Antwort zu finden. Kraft dieser vielfältigen Auslegungen evoziert Musik vergleichbar einem katalysierenden Kristall alle möglichen Phantasmagorien.‹ Hübsch, ne?«
    Ryu kniff die Augen zusammen: Jetzt wollte sie ihn testen. Reinlegen. Da half nur Stufe Drei, hemmungslose, businessgestählte Aufrichtigkeit: »Ich weiß nicht, ob's hübsch ist. Ich versteh's nicht, und es beschäftigt mich auch ... kaum.«
    » Good for you «, billigte die Komponistin die Feststellung und saugte Qualm in sich hinein. Ryu räusperte sich und setzte neu an: »Aber was ich Ihnen sagen kann, ist, was mein Auftraggeber Ihnen ausrichten läßt, unter Berufung auf, wie er mir sagt, Ihren Lieblingsphilosophen: Wenn Musik keine Sprache ist, was ist sie dann? Denn ... ähm ...«, er mußte sich kurz besinnen, dann hatte er's: »...denn sprachähnliche Attribute hat sie ja. Man meint ja doch, daß bestimmte Elemente von Musik für irgendwelche anderen Dinge stehen können, zum Beispiel Gemütsregungen.«
    » Go on , es wird allmählich witziger«, sagte Cordula Späth. Jetzt hatte er sie. Auf diesem neuen Spielfeld, dem des, nun ja, beiderseitigen Interessiertseins nämlich, wußte er sich zu bewegen. »Gut, also mein Auftraggeber sagt: Vielleicht ist die Nichtsprachlichkeit von Musik eine Parasprachlichkeit, wie etwa bei der Mathematik – die ist ja nicht nur eine Sprache, sondern auch der Gegenstandsbereich einer Sprache – die Zahl ›1‹ ist ein mathematischer Ausdruck, dem außerhalb der Mathematik gar kein ähm ... ontischer Status zukommt, es gibt höchstens einen Apfel oder einen Krieg oder einen Menschen, aber keine Eins.«
    »Mathematik ...«, sie schien die Idee zu kosten wie ein Zungenspitzchen LSD.
    »Ja, oder vielleicht noch treffender – meint mein Auftraggeber, unter Berufung auf denselben Philosophen ...«
    »Heißt Bobby Brandom und sieht aus wie der Nikolaus. Sein style ist neu und macht mir Spaß, er nennt das Inferentialismus.«
    »Okay, also, noch treffender: Vielleicht ist sie – die Musik – so etwas Ähnliches wie das Vokabular der Logik. Logik ist ja weniger eine Objektsprache, also eine Sprache, die Dinge und Sachverhalte ausdrückt, als vielmehr ein Instrument zum Explitzitmachen der ... der fundamentalen semantischen und pragmatischen Strukturen einer diskursiven Praxis. Und analog dazu könnte dann die Musik die

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