Die Abschaffung der Arten
klargeworden, daß die eilige Katja (die sie bei sich, der Eingebung einer gemeinsamen Freundin folgend, das Wetzelchen nannte) und sie selbst miteinander nicht hatten, was man eine Zukunft nennt.
Denn erstens war Katja leider »einfach nicht lesbisch genug« (Cordula, im Tagebuch) – der damalige Beau der Eiligen hieß Stefan und war ein anständiger, kluger Kerl, aber, fand Cordula, andererseits eindeutig keine Frau und deshalb ein ganz schlechtes Zeichen. Zweitens aber ließ Katja das allgemeine Elend in regelmäßigen Abständen so nah an sich heran, wie das keine Künstlerin je geduldet und ertragen hätte, und da wurde Cordula, weil sie Katja so sehr liebte, dann immer mit hineingezogen, was schließlich selbst bei dieser so prinzipienfesten und starken Person dazu führte, daß ihr Charakterrückgrat ein bißchen ausleierte.
Die Intimität, die sich aus solchem Mitleidenmüssen zwangsläufig ergab, wurde nämlich nicht durch eine entsprechende Lustnähe belohnt – es gab ab und zu ein Küßchen, ab und zu ein unbeholfen süßes Zusammensein in irgendwelchen Betten, aber kein ordentliches Einanderauffressen.
Nie.
Die Sache mit Stefans Eltern zum Beispiel.
Das waren zwei brave Leute von geringem Stand und magerem Verdienst. Ihn hatte nach Jahrzehnten grauer Rackerei im Versicherungswesen die Arbeitslosigkeit ereilt, sie war schließlich in Rente gegangen, davor bei der katholischen Sozialfürsorge beschäftigt gewesen.
Stefan lebte längst nicht mehr bei ihnen, seine ältere Schwester, psychisch »durch den Wind« (Katja), versuchte es seit ein paar Jahren mit betreutem Wohnen, ihr Kind, also Stefans Neffe und der Enkel seiner Eltern, lebte bei diesen. Die beiden Alten waren keine übermäßig fanatischen Anhänger des herrschenden Systems, aber sie opponierten auch nicht – »normale Mitmacher«, fand Cordula, also Personen, die sich nie etwas hatten zuschulden kommen lassen, und natürlich (erkannte die Tragödin in der Komponistin rasch) war damit klar, daß sie zu denen gehören, die es unverhofft am härtesten trifft.
Kaum trat die Mutter ihre Pensionszeit an, wurde nicht nur das Geld knapp – der Vater, besiegt von seiner Entlassung, schaffte frei nichts mehr heran –, sondern auch noch ein fieser Blutkrebs bei ihr diagnostiziert. Gegen den mutete man ihr, unter voller Anteilnahme des Ehemanns, Enkels, Sohnes und dessen Freundin, eine nahezu tödliche Therapie zu, die zweimal abgebrochen wurde, bis sie zu einer wackligen Art von Erfolg führte. Kaum hatte sie sich hinreichend gefangen, entdeckte man beim Gatten nunmehr Lungen- und Speiseröhrenkrebs, und zwar einen schnellen.
Innerhalb weniger Wochen und nach einem erfolglosen Angriff der stationären Medizin auf die Wucherungen war der Mann ein Pflegefall, kehrte im Rollstuhl, mit Atemgerät und zur selbständigen Nahrungsaufnahme unfähig nach Hause zurück und war dort eine Last für sie, die dem Tod eben hatte entkommen können – immerhin, sagte Katja zu Cordula am Telefon, als die ihr angekündigt hatte, sie werde ihre laufende Konzerttournee jener Tage unterbrechen, um in der Kleinstadt für Katja da zu sein, »wird es wohl ... alles in allem ... nicht lange dauern«.
»Was heißt nicht lange?« fragte Cordula und bereute die Frage im selben Moment.
»Na ja«, sagte Katja, hörbar müde bis an die Grenze zum Wachkoma, »wenn du ihn noch mal sehen willst, nimmst du besser den nächsten Zug.«
Was antwortete man da?
Cordula kam nicht dazu: »Außerdem, wo wir grad bei super Nachrichten sind«, die Komponistin konnte das sexy sarkastische Grinsen der Geliebten direkt vor sich sehen, ja, sie meinte, man hörte es sogar, bei dieser Stimmlage, »von Stefan und mir gibt es auch Neuigkeiten.«
»Was denn«, witzelte Cordula, um den Horror ein bißchen aufzuhellen, »bist du schwanger?«
Katja lachte humorlos: »Wie hast du das nur wieder erraten, Bienchen?«
In der bis zum Wahnsinn einsamen, eifersüchtigen und schmerzlichen Nacht, die auf dieses Telefonat folgte, kam sich Cordula Späth hauptsächlich wie die letzte Sau vor: Wie kann ich rasen, über diese Nachricht, wenn doch der arme Großvater des vorgesehenen Kindes gerade viel größere Probleme hat als ich mit meinem verrückten Besitzanspruch auf die Süße? Was bin denn bitte ich für ein Monster?
Sie fuhr dann tatsächlich mit dem berühmten nächsten Zug, war der Süßen eine Stütze und zu Stefan mitfühlend nett, aber eine Woche danach schrieb sie Katja eine E-Mail, in
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