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Die Abschaffung der Arten

Die Abschaffung der Arten

Titel: Die Abschaffung der Arten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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Freundinnen
    Der Urwald schien zu wissen, daß eine Welt weit weg die Gente mit bangen Gefühlen an ihn dachten.
    Sie würden nicht verstehen, was seine schwarze Erde, seine großen Bäume und dampfenden Sümpfe bewohnte. Er wollte, daß im Laubigen und Biegsamen, zwischen Hamadryaden und Dickichten, in Schluchtnacht und Waldschaum, geklärt werde, worauf es hinauslief mit den Tiefen, dem Glanz und den Blumen.
    Als er zu sich kam, wurde er zunächst laut wie ein Crescendo sämtlicher Musik, die je gespielt worden war, ein allumfassender Lärm, verursacht vom kataklysmischen Massensterben und der in Klangfarben, Tonhöhe, physioskulpturaler Struktur und biochemischer Natur neu und anders geordneten Wiedergeburt aller grünen Leguane, Vieraugenbeutelratten, Kaimane und Tukane, deren Biomasse die Freß- und Ausscheidungsorgane der eben erst in unirdischem Lachen erwachten Kindsintelligenz Katahomenleandraleal passierte.
    Was waren das für Sterbende, Tote, dann Auferstandene? Keine Gente.

    Aber auch keine bloß Bewußtlosen – sie dachten, wie Tiere vor der Befreiung gedacht hatten.
    Ihre Seelen sandten eine Art Piepton ins Innenohr Katahomenleandraleals, der das Gottkind vorsichtig an die Notwendigkeit der Unterscheidung von Innen und Außen heranführte.
    Die Klangumgebung, die es auswarf, empfand es bald selbst als störend.
    Bin das ich, ist das mein Gebrüll, so demagogisch-rhetorisch? Es erkannte, daß aus den Tönen eine neue Gegend geworden war. Also griff es alloplastisch in sie ein, unterstützt von kleinen Bautruppen geretteter, gründlich gehirngewaschener Menschenweibchen. Waren die eigentlich zeitlich orientiert? Oder kam ihnen über der Arbeit für Katahomenleandraleal, übers Wegräumen, Abtragen, Umbauen alles abhanden, was Alter, Wachstum, Reifung geheißen hatte? Katahomenleandraleal wußte es nicht; grübelte sehr lange darüber nach.
    Wären sie in den gemäßigten Zonen unterwegs, dachte das Gottkind, dort, wo Cyrus Iemelian Adrian Vinicius Golden seinen Abhängigen vorschreiben konnte, wie (und sogar warum) sie als Gente zu leben haben, dann könnten sie Kerben in die Bäume schlagen, Proben entnehmen und an den Jahresringen ablesen, wie lange diese Bäume schon dem Licht von Sol Invictus zustrebten. Aber das Wetter im Regenwald kannte keine Jahreszeiten, also konnten die Frauen nichts dergleichen tun.

    »Platonische Zeit, regelmäßige Zeit, leere Dauer. Wie Körper, die nur aus abstrakten, gedachten Punkten, nicht aus materiellem Substrat bestehen«, sagte eines der Menschenweibchen zu Katahomenleandraleal, als es zu diesem Problem vernommen wurde.
    »Platonische ...«
    »Ja. Philosophie als Mathematik und umgekehrt.« Die Frau war nackt und glänzte. Sie erfreute sich bester Gesundheit. Katahomenleandraleal sorgte für die Geretteten und schützte sie vor Hunger, Hitzschlag, Austrocknen. Die allgegenwärtige Feuchtigkeit war voller Pherinfone und Pharmakoi; die Luft selbst eine überreiche Nährlösung.
    »Platonisch. Das ist«, sagte das Gottkind, »eine Wissenschaft, die mich interessiert. Leere. Das ist ein Begriff, der mich interessiert. Mengen: Davon muß ich auch hören.«
    »Mengen, hömm«, räusperte sich die Frau.
    »Ja. Ich wollte den Begriff davon der Leere eigentlich entgegensetzen, bis mir klar wurde, daß sich auch leere Mengen denken lassen. Die Körper, von denen du redest – die Ausdehnungen in der platonischen Zeit, die Spielarten der platonischen Menge –, ich frage mich, ob das die Formen der Leiblichkeit sein könnten, die ich mir anziehen und die ich ablegen kann, um endlich eine ... eigene Biographie zu haben. Weißt du, so wie ihr.«
    »Nein, tut mir leid. Ich weiß das nicht«, gestand die Menschenfrau, weil sie, was sie wunderte, Zutrauen zu Katahomenleandraleal gefaßt hatte und diese gute Grundlage einer fruchtbaren Beziehung nicht durch vorgetäuschte Besserwisserei untergraben wollte.

    »Du weißt es nicht. Aber du hast davon geredet. Du hast eine Sprache, die es weiß. Menschen wissen es, alle.«
    »Ähm, tschaa ... nein, nö, so ... so einfach ist das nicht, fürchte ich. Alle Menschen sind ... nicht gleich. Wir haben ... wir hatten da so eine ... Arbeitsteilung. Ich bin zum Beispiel keine Wissenschaftlerin, keine Philosophin, keine Mathematikerin. Eine von denen wüßte es vielleicht, aber ich ...« Katahomenleandraleal unterbrach sie; nicht mit Worten, sondern mit Bildern. Die Muster wurden direkt auf ihr Sehzentrum geschrieben; sie verstand, daß sie

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