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Die Abschaffung der Arten

Die Abschaffung der Arten

Titel: Die Abschaffung der Arten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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schnaufend aus, erschöpft und ein wenig beleidigt. Dann sagte sie: »Weißt du was, ich schau mir nur Programme an, die für schwule Triebtäter im Seniorenalter geeignet sind. Nicht, daß du oder sonst ein lebendes Geschöpf verstehen könnte, was das heißen täte.«
    »Miese Grammatik«, rügte der Nager. Dann verschwand seine scharf gezeichnete Maske im pechschwarzen Wildwuchs.

    Die Frau dachte an Leute, die es nicht mehr gab, und eine ganz besondre Person.
    Irgendwann schlief sie ein. Da träumte sie von Farnfächersekret aus Frauenleibern, von klaffenden Wunden, von orangeroten Booten mit lahmgelegten Motoren und von silbernen Menschen, die sich darin zusammendrängten, um gemeinsam, weil sie keine Wahl hatten, ein öliges, giftiges Meer zu befahren. Geh zur Ameise, mahnte der Himmel, der flimmerte, du Faulpelz, lern von ihrer Emsigkeit, sei gefälligst weise. Die Ameise ist ein Kentaur in ihrer Drachenwelt. Dies hier ist nur eine Gutenachtgeschichte, die dir durch deine lange Ohnmacht hindurchhelfen soll, denn wenn du morgen aufwachst, wirst du kämpfen müssen.
    Ein Flaum, wie er auf den längsten Sätzen der Dichter liegt, bildete sich auf ihren geschlossenen Augenlidern. So sah sie nicht die Wechsel der Beleuchtung, die sie zu früh hätten erwachen lassen. Ihre Hirnphysiologie war primitiv: Erwachen durch Dämmer kam ihr natürlicher vor als Erwachen durch Laute; ähnlich wie ihr Verstand leidigerweise eher dazu geeignet war, an Götter zu glauben, als dazu, die zutreffenden Behauptungen der Wissenschaften zu verstehen.

    Im Gras und in den Blüten um sie, in Rinden und Blättern kam ein Vibrieren auf, das die Schlafende endlich weckte. Es war Katahomenleandraleal, die sich allen und allem erklärte: »Ich weiß jetzt, wie mein Leben geht. Ich bin eine Frau, ich bin weiblich, meine Verkörperung hat die erste Formentscheidung getroffen.«
    »Platonisch, hm?« Das Menschenweibchen rieb sich vergnatzt den Schlaf aus den Augen.
    »Alles andere als das«, sagte die Göttin.
    Insekten zeigten auf eine freie Moosfläche; da stand ein hirschrückenbraunes Ledersofa. Die Frau stakste, noch leicht benommen, dorthin und streckte ihre starren Glieder darauf aus. Sie sah durch die wenigen Lücken im Baumbewuchs in den Himmel hoch; alles war jetzt wieder möglich.
    »Du bist zufrieden, ja?« schmeichelte die Gottheit der Menschenfrau.
    »Du auch?« Keine schlechte Gegenfrage.
    »Ja. Ich weiß jetzt mehr über mich als zuvor, das gefällt mir. Ich habe ein Geschlecht und hatte zuerst schon einen Namen und habe immer noch keine Spezies, zu der ich gehöre und die sich von Blutes wegen zu mir bekennt. Es gibt weiterhin Arbeit.« Die angenehme Altstimme wummerte bis tief in die Knochen der Frau auf dem Sofa. »Und ich will mich bei dir bedanken. Ich weiß, daß du das nicht erkennen kannst, aber in manchem bist du mir überlegen. Bedenke das Wunder, daß du zuerst eine Spezies hattest, zu der du gehörst und die sich von Blutes wegen zu dir bekennt, und dann ein Geschlecht, und dann erst einen Namen.«
    Schweigen.
    »Einen Namen«, wiederholte Katahomenleandraleal, »und ich kenne ihn nicht. Wie soll ich dich nennen?«
    Bei den Gente, unterm Löwen Cyrus Iemelian Adrian Vinicius Golden, dachte die Frau, würde mich das niemand fragen. Wann, fragte sie sich, haben wir das verspielt, wir Menschen, daß man uns beim Namen nennt? Wer hat uns eigentlich den alten Auftrag aus der Hand geschlagen, uns die Erde untertan zu machen und alles zu benennen, was da kreucht und fleucht, ein jedes nach seiner Art?

    Sie erinnerte sich noch an den Zensus, die Umstände, die man sich gemacht hatte: Insekten, nachts angelockt und abgesammelt mit Lichtfallen, mit Insektizid eingesprühte Baumkronen, um die Käfer zu erwischen – tot prasselten die Kerbtiere in die aufgespannten Netze –; an Löwen und Geparden, in der Savannenhitze fotografiert von offenen Geländewagen aus, einem System paralleler Linien folgend; an die Vogelkopfsteuer, Schnecken im Eimer ... und jetzt, fand sie, bin ich am Ende einer Mauer angekommen, von der ich nie gedacht hätte, daß sie ein Ende hat. Soll ich um die Ecke linsen?
    Jetzt hab ich eine Göttin, zu der gehöre ich. Eine neue Verkörperung, Geburt und Wiedergeburt, wie sagten wir doch, als ich noch katholisch war: Ave verum corpus .

    Natürlich, ich erinnere mich, Musik von Mary Beth, Musik von Elgar. Chor der Worcester Kathedrale. Chor der Keramik. Ecce opus . Belebende, frei flottierende Organpanik,

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