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Die Abschaffung der Arten

Die Abschaffung der Arten

Titel: Die Abschaffung der Arten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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erklären sollte, was Arbeit war und wie man die teilen konnte.
    Die Frau war einverstanden. Katahomenleandraleal umrankte sie mit Schlingpflanzen, stellte sie chemisch still und nahm sie mit nach innen, in Klausur. Vierzehn Tage lang tauschten sich die keramikanische Jugend und die lebendige Vergangenheit aus, unterbrochen nur von gelegentlichem dröhnendem Gelächter Katahomenleandraleals und neuen Freß-, Verdauungs-, Ausscheidungs- und Transformationsoffensiven der ersten postbiotischen Großmacht.
    Am Ende hatte Katahomenleandraleal alles begriffen.
    »Laß es mich zusammenfassen: Ihr habt immer dasselbe getan, über Jahrzehnte, jede und jeder für sich, aber eben damit auch für die andern.«
    »Mehr oder weniger, ja.«
    »Und du warst ... Komponistin.«
    »Kann man so sagen, ja.«
    »Und du hast dir die Haare auf dem Kopf nicht weiß gefärbt, sondern die waren schon weiß, seit du zwölf Jahre alt warst, und die Haare an deinem Fortpflanzungsorgan hast du dir entfernt ... rasiert? Rasiert, damit deine Freundin ...«
    »Entschuldige, aber du bringst was durcheinander. Das hat nichts mit meinem Beruf zu tun. Die Haare, die ... das ist privat.«
    »Stimmt, es gab diese zweite Teilung – lateral –, die durch jeden Menschen ging: öffentlich und privat.«
    »Ja.«
    »Und der Beruf war öffentlich.«
    »Mhmh. Meiner, als künstlerischer, war sogar erheblich öffentlicher als die meisten andern.«
    »Gut. Du hast Musik erfunden. Deshalb waren deine Denkmuster gleich so interessant, als Schlüsselspender, für mich, nachdem es hier so ... laut wurde.« Katahomenleandraleal verweigerte neuerdings die Zurechnung des gewesenen Lärms auf seine eigenen Aktivitäten; das Wesen hatte gelernt, sich zu schämen.
    »Und mit Philosophie und ... Platonik hast du dich nur als, wie würdest du es sagen? Unterstützung ...?«
    »Hilfswissenschaften. Für meine Kompositionspraxis. Und es heißt Mathematik, nicht Platonik.«
    »Also, damit hast du dich nur ... am Rande beschäftigt. Deshalb weißt du nicht, ob die platonischen Körper ...«
    »Polytope«, sagte die Komponistin, denn Katahomenleandraleal hatte ihr Zugang zu mathematischen Lehrdatenbanken verschafft, die tief im gemeinsamen Urzellengehäuse seiner beiden Eltern, die er aufgefressen hatte, eingeschlossen gewesen waren. Katahomenleandraleal stimmte zu, nachdem er das Datenbankwissen mit seiner eigenen Begriffsarbeit abgeglichen hatte: »Polytope. Das ist der rechte Name. Also, wegen der Berufs ...sperren kannst du mir nicht sagen, kannst du nicht das Problem lösen, ob diese ... Polytope die Sorte Körper sind, die ich mir anziehen und die ich ablegen muß, um eine Biographie zu haben, wie du und deine Schwestern.«
    »Ich kann bloß raten. Es könnte so sein. Ich meine, ich hab nicht viel mehr bei der Hand als die Definitionen und Lehrsätze in deinem Speicher. Alles, worauf ich kommen kann, kannst du selber rauskriegen.«
    »Dann will ich mir eine Bedenkzeit nehmen, um es herauszufinden.«

    Daß der Dschungel schwieg, war in der ganzen Naturgeschichte noch nie vorgekommen.
    Die in ihm lebten, fürchteten sich sehr, nur die Frau nicht, mit der Katahomenleandraleal geredet hatte. Sie badete lieber und wusch sich gründlich.
    Nach anderthalb Stunden kehrten die Geräusche zurück, verhaltener, regelmäßiger. Nun war eine unerhörte Art des Denkens, Nachmessens, Ordnens in Schall aus dem Krach hervorgegangen.
    In kurzer Zeit erarbeitete sich der junge gewaltige Intellekt die Grundlagen einer neuen Wissenschaft: der nachnoumenalen Verkörperungspsychologie.
    Zu diesem Zweck verschob es Rechenstöcke aus Steinen und Holzpflöcken, mit Lianen verbunden, wobei ihm Menschenfrauen, Nagetiere, Papageien und wendige Echsen halfen. Anknüpfend an das in seinen Gedächtnisgrüften bewahrte dreizehnte Buch der euklidischen Elemente wurden zunächst die regulären konvexen dreidimensionalen Polytope untersucht: der Tetraeder, der Würfel, der Oktaeder, der Dodekaeder und der Ikosaeder. Es zieht in Betracht, es verwirft, es macht weiter, dachte die Frau, die dazu Zeit hatte, weil sie in keine der Kolonnen eingezogen worden war. Es leistet Verallgemeinerung über seine Beobachtungen, es erkennt Dualitätsgesetzmäßigkeiten. Tetraeder: selbstdual, Würfel: dual zum Oktaeder, Dodekaeder: dual zum Ikosaeder.

    In Stollen der Erinnerung stieß Katahomenleandraleal auf Ludwig Schläflis alte Klassifikation, in der sich die platonischen Körper leicht unterbringen oder wiederfinden

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