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Die Abschaffung der Arten

Die Abschaffung der Arten

Titel: Die Abschaffung der Arten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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Wolf.
    »Richtig. Also, wenn du das willst und kannst, dann spielt es für das betreffende einzelne Bewußtsein in dieser simulierten Welt keine Rolle, ob die Simulation relativ zur, na ja, wirklichen Welt, in der das Programm auf irgendein Substrat geschrieben ist, zum Beispiel rückwärts läuft – von innen fühlt es sich immer richtig herum an.«
    »Klar. Die Schritte sind logisch verknüpft, nicht historisch ...«
    »Also, CBA ist für das Denken in diesem System dasselbe wie ABC, Hauptsache, die Kausalität zwischen den drei Teilen hält. Die Ableitbarkeit des jeweiligen Schrittes aus dem, der jeweils der logisch vorgeordnete ist. Noch mal: logisch, nicht zeitlich.«
    »Einverstanden. Wohin willst du damit?«
    »Überleg mal: Was, wenn du sie jetzt ganz anders mischst? Nicht vorwärts, nicht rückwärts, sondern ACB? BCA?«
    »Bleibt von innen immer dasselbe. Ein Bewußtsein in C wird's immer so erleben, als ob es auf seine Vorstufe erst in A, dann in B folgt.«
    »Von innen fühlt sich ›folgt aus‹ immer an wie ›folgt auf‹.«
    »Aber was soll daran bedeutend sein? Ist doch platt: Kausalität, der Mörtel des Universums.«
    »Eben. Und weil das so platt ist, sind auch alle denkbaren Muster aus Innensicht gleichberechtigt. Sobald etwas als in sich konsistent denkbar ist ...«
    »Ahhh ... jetzt versteh ich. Sobald ... ja, dann kommt es, und sei's verteilt über alle Elektronenhüllen aller Atome aller Zeiten, irgendwie auch vor. Alle denkbaren Kombinationen sind auf ihre Art wirklich. Alle Welten, die es geben kann, gibt es. Das heißt, Moment: Wenn die Rechenzeit reicht.«
    »Wieso Zeit?«
    Der Wolf bellte ein trocknes Lachen: »Scheiße, stimmt. Gibt ja keine absolute Zeit mehr, wenn man dieses Bild einmal ... ach du grüner Dachs.«
    »Alle Geschichten sind wahr, hat das ein Mensch namens Alan Moore ...«
    »Was du nur mit deinen Menschen hast, Mädchen.«
    »Und obwohl das so ist ... trotzdem muß man keine Angst vor Beliebigkeit oder Relativismus haben. Daß alle Geschichten wahr sind, heißt nämlich nicht, daß...«
    »...daß in jedem Programm auch alle Elemente austauschbar wären, ohne das Programm zu zerstören.«
    »Siehst du. Also, Alternativen sind was anderes als Chaos. Und sobald man das begriffen hat, muß man sich, um zum ... herrlichen Wahnsinn der höchsten Wahrheiten vorzustoßen, nur noch die eine Zusatzfrage stellen: Wenn man die Vorstellung des logischen Auseinanderfolgens und den des zeitlichen Aufeinanderfolgens voneinander ablösen darf, und also Entwicklung auch unabhängig von einem Zeitpfeil, aber nie unabhängig von Kausalität gedacht werden kann, welche Folgen hat das denn für die Vorstellungen, die man sich von Evolution machen sollte?«

    Was sie danach noch darüber andeutete, nahm Dmitri, wie er sich später beschämt und verärgert eingestehen mußte, nur am Rande wahr – sie legte ihm eine Art anagrammatische Tiefenwohnlichkeit des Kosmos dar, während er bereits anfing, ihr die Füße und Hände abzulecken.
    Sie küßte und zauste ihn, sprach wieder von Menschen: von Unica Zürn und Maya Deren, davon, daß man nicht nur in Prozessoren, sondern auch auf Papier, auf Zelluloid, in Kristallspeichern mit Anagrammen spielen konnte und daß schließlich das Reservoir der dritten Schöpfung, die DNA, in deren beängstigendem Reichtum sich der Löwe bedient hatte, wobei sie ihm geholfen habe, was sie heute nicht mehr tun würde, vielleicht einmal, in tausend Jahren ...
    So sprach sie weiter, in Zungen, in immer weiter ausgreifenden argumentativen Kreisen, bis sie nichts mehr sprach, weil sie ihm dann, beim Küssen, anderes zu sagen hatte.
    Dobroj notschi , Comtesse, Gute Nacht.
3. Einander göttlich
    Manchmal unternahmen die Verliebten kleine Reisen ins Grasland, oder ans Meer, wo sie die Weite betrachten konnten, manchmal gingen sie auch zu den Karpfenteichen unter den höchsten Felsen.
    Eine Zeitlang war ihr Mund ein Schnabel, dann war ihr Schnabel ein Mund, von dem er besonders die Unterlippe mochte. Wenn die Sonne aufging, waren ihre Augen schneller blau als der Himmel; dann schaute sie ihn an, als wunderte sie sich, daß es ihn gab.
    Da war er stolz, denn ihr Sichwundern gab einen geheimnisvollen Kontrast zu der Tatsache, daß sie so viel mehr wußte als er.

    Er folgte ihr, in einer Nacht, da sie ihn schlafend glaubte, durch Thymian und wilde Minze, ins Blattwerk, bis auf eine Lichtung. Die war so weit waldwärts, daß man die Neonlichter der Labors nicht mehr

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