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Die Abschaffung der Arten

Die Abschaffung der Arten

Titel: Die Abschaffung der Arten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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... alle Quartiere der Überwundenen um Borbruck evakuiert, und man erlaubte ihnen nur, ein paar krude Werkzeuge mitzunehmen – Äxte, Schaufeln, Sägen, keine Gewehre. Aber Stoffe, und Material für, na, für ihre Füße.«
    »Schuhzeug.«
    »Ja. Ein bißchen zuwenig, vielleicht kalkuliertermaßen – ein Experiment der späteren Fledermaus, mit dem man herausfinden wollte, wie lange es dauern würde, bis sie einander an die Gurgel gingen.«
    Anubis schauderte. »Wie hast du«, wandte er sich an Huan-Ti, »die Geschichte genannt? Kannibaleninsel?«
    »Sie haben einander schon auf der Überfahrt ...«, die Tigerzunge hing heraus; Huan-Tis Augen leuchteten: Er fühlte sich im Recht, glaubte, er könne damit den andern belegen, daß Menschen der Abschaum der Schöpfung waren.
    »Brrr, wie scheußlich«, fiel das Frettchen ihm ins Wort.
    Hecate räusperte sich und fuhr fort: »Es gibt Berichte, die man in Kapseits und Landers studieren kann, in den Archiven. Nicht alle sind in den menschenfressenden Irrwitz verfallen. Es gab auf der Insel Opfer und Täter. So einfach, wie Huan-Ti die Sache haben will, war sie nicht. Wir haben diese Leute erst zu dem gemacht, wovor wir uns dann so ekeln konnten, daß uns unsere Untaten gegen sie rechtschaffen vorgekommen sind. Sie haben selbst die Dokumente geliefert: auf Birkenrinde geritzt, als Tagebücher, Hilfeschreie an ihre Götter ...« Der Satz mußte nicht beendet werden.
    Huan-Ti schwieg zur Selbstanklage des Pferdes.
    Anubis fand, es wäre günstig, das Thema zu wechseln: »Was wollen sie eigentlich mit dem Gold auf ihrem ... Treck?«
    »Das lieben sie. Das glänzt so schön, ein liebster Fetisch«, sagte Huan-Ti und sah Hecate vorwurfsvoll an, »die Sache gehört zu ihren widerlichsten geschichtlichen Eigenarten, das Anhäufen von abstraktem Reichtum, in Form von Sachen, die man nur zum Tauschen gebrauchen kann ... oder sind wir daran auch wieder schuld, Frau Moral?«
    Hecate überraschte ihn mit ihrer Antwort: »In gewisser Weise schon. Natürlich nicht am Goldhorten an sich und an den Tatsachen, die du meinst. Aber ...«
    Anubis fuhr zusammen wie gebissen, als er Huan-Ti brüllen hörte – nun, nicht eigentlich brüllen, verbesserte er sich sofort, weil ihm Eskalationen zuwider waren. Es war mehr ein empörtes Husten gewesen, und den Rachen hatte er auch nicht sehr weit aufgesperrt dabei. Der Tiger schluckte schmatzend und sagte dann: »Schuld? Ich habe unter Ryuneke gearbeitet, meine Liebe, ich weiß Bescheid! Erzähl mir nichts! Schuld! Schuld an ihrem ganzen Wirrwarr, den Verflechtungen, dem Karussell des Geldumlaufs, bei dem am Ende niemand mehr wußte, wer das Ausfallrisiko trägt, schuld an ihren Pyramidenspielen, an ihren absurden Maßstäben – mal gab es einen Goldstandard, mal nicht, und als er weg war, konnte es passieren, daß Gold, in dessen Sicherheit als nicht leicht zu fälschendes, nicht leicht zu vervielfältigendes allgemeines Äquivalent sich die sogenannten Anleger, die Vorratshalter und Zinsfresser flüchteten, in wenigen Jahrzehnten den zwanzigfachen nominellen Wert zugeschrieben bekam. Schuld? Schuld an Inflation, Deflation, Überproduktion, Blasenbildung im Finanzwesen ... ich hab Lasara gehört, an der Akademie von Kapseits, ihr Seminar über Wachstum und Wahnsinn, ich war dabei, als sie den großen Vorstoß riskiert hat, gegen Ryuneke, dessen viel zu zahmes neues ökonomisches System noch viel zu viele Anleihen beim alten, aus der Langeweile bekannten, elenden ...«
    »Eben«, Hecate hatte sich zurückgehalten, jetzt mußte sie ihm dreinfahren, und Anubis dachte nicht zum ersten Mal, daß er wirklich keine Lust verspürte, jemals bei einer ernsten Auseinandersetzung zwischen diese beiden zu geraten, »das ist er doch, der Name, um den es hier geht: Ryuneke. Was glaubst du, mit wem sie handeln, heute noch, diese Menschen, diese Flüchtlinge aus der Vergangenheit, die Anubis gesehen hat?«
    Ein obszönes Geräusch war Huan-Tis Erwiderung, dann der Satz: »Mit uns vielleicht, den Gente?«
    »Mit Ryuneke Nirgendwo. Er unterhält Handelsposten, überall in den Einöden, auf den unwegigen Pässen – ja, auch direkt vor Izquierdas Nase, im Präferenzgebirge, auch dort gibt's noch Menschen, wie an jedem Ort, den zu zivilisieren und ans Pherinfongewebe anzuschließen sich für die Gente nicht gelohnt hat.«
    »Ach ja? Was haben die denn, was wir ... was der Fuchs kaufen könnte?«
    »Ihre Kadaver. Die ganze alte Biologie. Vor den Gente. Die Genetik.

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