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Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Titel: Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick McGuinness
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Frührente. Als Ottilia einen Blick darauf warf, lachte sie so laut und schrill auf, wie ich es noch nie von ihr gehört hatte. Die umherstehenden Leute äußerten ihr Missfallen, wanden sich, hielten Abstand.
    Die Wände waren mit Stofftapeten in Scharlachrot und Gold bespannt, staubig und übersät von kahlen Stellen, und es gab mehrere Glasvitrinen mit Arghezis Manuskripten. Unter dem Porträt der Ceaușescus hing eine handschriftliche Version von Arghezis wunderbarem Gedicht »Blesteme«, »Flüche«:
    Sollen Maulwürfe und Maden
    Über die Leichen berühmter Toter kriechen.
    Sollen Mäuse zu Hunderten
    Zwischen purpurnen Gewändern quieken
    Und Insekten und wundersame Motten
    In den Kostbarkeiten nisten,
    Verziert mit Perlen und Gold.
    Sollen Spinnen ihre lautlosen Fäden
    Über die Saiten von Geigen und Gitarren spannen …
    Das Gedicht war zwar nicht offen politisch, hatte in diesem Zusammenhang aber etwas Subversives. Wer hatte es hier straflos plazieren können?
    Ottilias Lachen hatten unser Kommen angekündigt. Manea winkte vom anderen Ende des Saals, und Trofim, beschwipst und errötet, kam auf uns zu. Die zahlreichen Spiegel verliehen dem Saal die Atmosphäre eines riesigen Ankleidezimmers. Man konnte an jedem Platz die hinter und neben einem stehenden Menschen sehen – das Haus des Schriftstellerverbandes schien einer der wenigen Orte in Rumänien zu sein, an denen man nicht ständig einen Blick über die Schulter werfen musste. Überall standen ausgefallene Möbelstücke: elegante Stühle mit schmalen Beinen und durchgesessener Polsterung, edle Konsolentische, die sich bei genauerem Hinsehen als wackelig, beschädigt und zerkratzt erwiesen. In den Aschenbechern türmten sich qualmende Kippen. Gelegentlich stieg mir der Duft eines Parfüms in die Nase, eine Neuerwerbung aus dem Westen, aus den Duty-Free-Shops oder den Parteiläden. Wie eine Melodie, die hin und wieder im Lärm zu hören ist, bildete er die flüchtige Kopfnote einer Melange von Gerüchen: ungewaschene alte Kleider, Mottenkugeln, Knoblauch. Ich nahm Cileas Duft wahr, Chanel, und folgte ihm quer durch den Saal bis zur fetten Frau eines Parteibonzen, die vols-au-vents in sich hineinstopfte.
    Die Diplomaten, trunken vor Langeweile, mischten sich unter das Volk. Ich wusste inzwischen, dass Langeweile eine fast transzendente Erfahrung sein konnte. Aber die Diplomaten waren Profis, und der Doyen des diplomatischen Zen war der belgische Erste Konsul und Lebemann, Ozeray, der sich das Ziel gesetzt hatte, so wenig wie möglich zu arbeiten. Man hatte ihn vor einigen Jahren in eine Falle gelockt – er war mit einem Agenten der Securitate in flagranti erwischt und fotografiert worden. Angeblich hatte Ozeray zunächst auf dem Vollzug des Geschlechtsakts bestanden; als man von ihm verlangte, den Doppelagenten zu spielen, hatte er Hose und Strümpfe angezogen und sich schnurstracks zu seinem Botschafter begeben, um sich zu erklären. Das Außenministerium hatte ihn auf seinem Posten belassen, um zu demonstrieren, dass manche Leute nicht erpressbar waren. Er bemerkte meinen Blick und hob lächelnd das Glas.
    Auch Wintersmith hielt sich hier auf. Aufhalten war sein Euphemismus für das heimlichtuerische Herumlungern, auf das er spezialisiert war. Ich sah ihn zum ersten Mal, seit wir ihm die Fotos übergeben hatten. Eine Gesichtshälfte zeugte noch von den Schlägen, die er bezogen hatte, und sein Nasenrücken war genäht.
    »Wir können reden, oder?« Wintersmith stand plötzlich neben uns und sah Ottilia an. »In ihrer Gegenwart, meine ich?« Ottilia gab ihm mit einem so verächtlichen Blick zu verstehen, dass er Luft für sie war, dass er sich eigentlich hätte kneifen zu müssen, um zu prüfen, ob er noch existierte. Sie ging zu Trofim und Ozeray. Der küsste ihr die Hand, ganz die alte Schule. Sie schreckte zurück, ließ sich dann aber von seinem Charme einwickeln.
    »Sie haben die Fotos nie verwendet, stimmt’s?«, fragte ich Wintersmith.
    »Tja, nein … Wissen Sie … Ich war ja dafür«, wand er sich, »ganz persönlich . Aber dann wurden die Fotos in einer Sitzung einer zweckdienlichen Strategie für untauglich befunden. Alle fragten sich, welchen Nutzen sie haben könnten …«
    »Haben Sie befürchtet, dass sie Ihre Geschäfte torpedieren würden?«
    »Seien wir offen: Die Deutschen und Franzosen haben wegen der Fotos Ärger am Hals. Man hat die Botschafter einbestellt, und ich habe gehört, dass bei den Krauts ein fetter Hubschrauber-Deal

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