Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)
geplatzt ist.« Er schenkte uns ein Lächeln, das er offenbar für verschwörerisch hielt. »Da weht ein Wind, der nichts Gutes verheißt. Aber wir sind drauf und dran, uns den Deal zu sichern.«
»Wen meinen Sie mit wir ? UK Aerospace oder British Defence Systems?«
»Ich meine ehrbare und angesehene britische Firmen mit Hunderten von Angestellten, von denen ganze Gemeinden abhängig sind.«
»Seit wann ist die britische Botschaft der verlängerte Arm der Privatwirtschaft? Es gibt viele, von bestimmten Industriezweigen abhängige Städte und Gemeinden, die weder staatlich gepäppelt noch vom Außenministerium unterstützt werden. Nehmen Sie Bergleute oder Stahlarbeiter.« Ich hätte mich nicht reizen lassen dürfen. Ich stand zornig und mit hochrotem Kopf da, selbstzufrieden betrachtet von Wintersmith.
»Oder die Drucker?« Er lächelte – es gab noch jemanden, der meine Geschichte kannte. »Man lernt mit der Zeit, dass man nicht alles ändern kann. Man kann nur bestimmte Schlachten schlagen. Mein Job besteht nicht darin, etwas zu billigen oder zu missbilligen. Ich könnte ihn nicht erledigen, wenn mir meine Gefühle in die Quere kommen würden.« Dann fügte er noch hinzu, als wolle er sein selbständiges Denken unter Beweis stellen: »Ich missbillige so einiges, glauben Sie mir. Aber wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass die Wirtschaft heute die treibende Kraft der Politik ist. Politische Entscheidungen sind wirtschaftliche Entscheidungen. So ist das nun mal. Nicht zu ändern.«
»Monsieur Midwinter? Gilbert, nicht wahr?« Ozeray schob sich zwischen uns und ergriff Wintersmiths Hand.
»Äh … Wintersmith. Giles.« Der Belgier nagelte ihn mit einem diplomatischen Halbnelson fest.
»Ach ja. Ganz recht. Ich konnte nicht umhin, Ihre scharfsinnige Analyse mit anzuhören. Ich weiß noch, wie es zu Anfang meiner Diplomatenlaufbahn war.« Ozeray schwieg kurz und schloss die Augen, lud uns ein, gemeinsam mit ihm in prähistorische Zeiten zurückzukehren, als Diplomaten noch gemeinsam mit Dinosauriern in Spiegelsälen dinierten. »Mein Mentor, Baron Henri Nivarlais – ein großer Diplomat –, war fünfzig Jahre im Dienst, und das während einer Zeit, in der die Welt nie gekannte, tief greifende Veränderungen erlebte. Nichts konnte den Baron erschüttern, und einmal sagte er zu mir: ›In der Diplomatie, junger Mann, gibt es zwei Arten von Problemen: die kleinen und die großen. Die kleinen lösen sich von selbst, die großen können Sie nicht lösen. Die größte Herausforderung Ihrer Laufbahn wird in der Versuchung bestehen, zu handeln. Aus welchem Holz Sie geschnitzt sind, wird sich daran zeigen, wie nobel Sie dieser Versuchung widerstehen.‹ Ein sehr guter Rat, Mr. Midwinter, meinen Sie nicht auch?«
»Nun … so habe ich das nicht gemeint, um ehrlich zu sein.« Wintersmith rang um Worte. »Ich meinte … tja … für einen Diplomaten gibt es einiges zu tun …«
Ozerays Lächeln nahm ihm jeglichen Willen, weiterzureden. Und als der Belgier seinen Griff endlich löste, verschwand Wintersmith als geschlagener Mann in der Menge.
»Vielen Dank. Ich konnte ihn nicht wirklich überzeugen und hätte in Kürze die Geduld verloren.«
»Sehr gern. Ein furchtbarer Mann. Aber ich fürchte, dass er, zumindest was Ihr Land betrifft, die Zukunft verkörpert.«
»Haben Sie das gemeint?«, fragte ich. »Als Sie davon sprachen, nicht zu handeln?«
Die Antwort blieb ihm erspart, denn es wurde laut auf einen Tisch geklopft. Hinten im Saal schwang irgendein ergrauter Würdenträger einen Hammer.
»Ich freue mich sehr, dass der Schriftstellerverband die Memoiren Sergiu Trofims in seinen Räumen vorstellen darf. Dieses Buch gewährt einzigartige Einblicke in die gewaltigen Fortschritte, die unsere Nation während der letzten vierzig Jahre gemacht hat, vor allem jedoch während der letzten zwanzig Jahre, in denen, so darf ich wohl sagen, unsere Bemühungen Früchte getragen haben.« Weiter hinten ertönte ein lautes Klacken – der elegant gekleidete Leo stahl sich durch die Doppeltür und winkte dabei einer Person, die ich nicht sehen konnte. Dann folgte Ioana, beschwipst und schamrot. Der Redner drehte sich um. Leo winkte ihm, er solle fortfahren. »Ich freue mich ganz besonders, die herzliche Grußbotschaft unseres Akademiepräsidenten und Conducătors , Nicolae Ceaușescu, verlesen zu dürfen, bekannt sowohl für seine Liebe zur Literatur als auch für seine Meisterschaft auf anderen Gebieten. Als
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