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Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Titel: Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick McGuinness
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von Stoicu, Belanger und den anderen. Wenn ein Trost in dieser Sache liegt, dann der, dass wir jetzt etwas gegen Stoicu unternehmen können. Mit Hilfe der von Petre gesammelten Beweise sind wir imstande, ihn dranzukriegen.«
    Er öffnete die Tür, hielt inne, drehte sich noch einmal um und zog etwas aus der Manteltasche – Petres rotes Notizbuch mit den Namen all jener Leute, die er für sein soziales Netzwerk gewonnen hatte, samt Adressen, Jobs und Angaben dazu, was sie an Zeit und Geld in die Sache gesteckt hatten.
    »Dies …«, er tippte auf den Einband, »muss zerstört werden. Die Securitate sucht es, Vintul weiß, dass es existiert, und ich bin verpflichtet, es zu kopieren und Maßnahmen gegen jeden zu ergreifen, dessen Name darin auftaucht. Aber ich gebe es Ihnen. Was mich betrifft, so gehe ich davon aus, dass es auf dem Grund der Donau liegt. Verbrennen Sie es.«
    Uns hatte es die Sprache verschlagen. Wir standen reglos da, waren außerstande, ihm zu folgen oder weitere Fragen zu stellen. Nach einigen Minuten stieg mir Rauch in die Nase – Leo stand auf dem Balkon, riss die Seiten aus dem Buch und warf sie in ein Feuer, dass er in meinem Papierkorb aus Blech entfacht hatte. Die Seiten loderten auf, verfärbten sich bräunlich, wurden schließlich zu schwarzen Flocken, die der Wind davontrug. Im grellen Sonnenschein des Morgens waren die Flammen nicht zu sehen. Zuletzt warf Leo den Einband in das Feuer. Ottilia und ich sahen zu, wie er verbrannte.
    Stoicus Sturz ging schnell, heimlich, still und leise und ohne Blutvergießen über die Bühne. Wäre ich Trofim gewesen, so hätte ich dies allein aus ästhetischen Gründen bewundert, vor allem da Manea, der nun als Kämpfer gegen die Korruption innerhalb der Partei galt, zum Minister befördert wurde. Stoicus Machtbasis wurde von einem Tag auf den anderen zerschlagen, seine Mitarbeiter wurden versetzt. Das Ausmaß der von ihm gesteuerten Korruption verblüffte sogar die Nomenklatura, die am stärksten davon profitiert hatte. Die von Petre gesammelten Beweise über sein Netzwerk von Prostitutionsringen, Banden von Menschenschmugglern und illegalem Devisenhandel wurden ihm zum Verhängnis. Man warf ihm vor, im »ausländischen Interesse« gehandelt zu haben.
    »›Ausländische Interessen‹ heißt übersetzt Belanger«, erklärte Leo. »Stoicu ist abserviert worden, und Manea erhält seinen Job … Raffiniert, was?«
    War es dies, was Cilea während ihres Besuches bei Belanger in Belgrad herausgefunden hatte? Hatte er ihr etwas erzählt? Hatte sie deshalb den Eindruck erweckt, etwas zu wissen, mir aber nichts davon erzählen wollen, aus Furcht, als Komplizin zu gelten?
    Stoicu wurde öffentlich gedemütigt, so weit jedenfalls, wie dies in einer auf Heimlichtuerei basierenden Gesellschaft möglich war: Er musste in die Außenbezirke ziehen und bekam eine Stellung als Hausmeister, seine Frau ließ sich umgehend von ihm scheiden. Maneas Korruption war viel stilvoller. In seiner Wohnung gab es weder Wasserhähne aus Gold noch golddurchwirkte Kimonos, im Vorratsschrank türmten sich die Kaviardosen nicht wie Sardellenkonserven im Monocom. Manea wischte sich den Mund nicht mit dem Handrücken ab, und er rülpste auch nicht, wenn er in der »Madonna-Disco« Champagner mit einem Schuss Tsuica getrunken hatte. Er protzte auf Parteikongressen weder mit blutjungen Gespielinnen, noch benutzte er drei französische Aftershaves auf einmal. Seine Fingernägel waren sauber.
    Und nun herrschte er nicht nur über das Ministerium, sondern auch über die finstere und weit verzweigte Unterwelt mit den Spitzeln und Schlägern, die ihn mit Informationen versorgten. »Im Ministerium aufräumen – pah!«, schnaubte Leo, der sich ärgerte, weil er in diesem Fall ausnahmsweise einmal nicht die Fäden gezogen hatte. »Hier nennt man das Bulgarisches Bad : Man versprüht etwas Deo, und dann geht es weiter wie gehabt.«
    Ottilia verstreute Petres Asche auf dem See in Herastrau, wobei sie leise mit ihm, sich selbst oder ihren verstorbenen Eltern sprach. Ioana, Leo und ich hielten pietätvoll Abstand, Trofim saß mit Campanu hinter uns auf einer Bank. Sogar der Zivilbeamte, die eine Hälfte des Teams, das Trofim rund um die Uhr überwachte, hatte den Hut abgesetzt. Der Tag war strahlend blau, der Himmel weit, und die schwarzen, kahlen Äste reckten sich in die klare Luft.
    Manea sorgte auch dafür, dass Petres Tätigkeit für ihn geheim blieb. Man verbreitete das Gerücht, er sei umgekommen,

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