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Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Titel: Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick McGuinness
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fragte sie. »Außerdem möchtest du es gar nicht wissen …«
    Das stimmte.
    Sie hatten sich 1984 kennengelernt. Er war frisch angekommen, ein junger Dozent, der im Land seiner Vorfahren seine erste Stelle außerhalb Großbritanniens antrat. Er hatte Rumänisch von seinen Großeltern gelernt, frankophilen Bukarestern – bonjouristes –, die nach dem Krieg emigriert waren. Er kannte sich nicht aus, schien aber sofort an eine verschüttete familiäre Erinnerung anknüpfen zu können. Es war, als wäre er schon einmal hier gewesen. Er habe es déjà vu genannt, sagte sie, dieses Gefühl, das ihn gleich nach der Ankunft am Otopeni-Flughafen erfüllt habe. Anfangs war er selbst überrascht, wie vertraut ihm die Stadt war, aber das legte sich bald. Er hatte den ganzen Stadtplan im Kopf, und wenn er durch die Straßen lief, war es, als würde sich der Plan entfalten. Er freundete sich mit Leo an. Sie unternahmen nächtliche Spaziergänge, waren unzertrennlich. Er sagte, jeder Schritt erwecke den Ort unter seinen Füßen zum Leben. Leo war seit drei Jahren in Bukarest. Er hatte genug Zeit gehabt, um Wurzeln zu schlagen, das Terrain zu sondieren. Er hatte schon mit dem Aufbau seines Schmuggel-Imperiums begonnen. Doch Belanger kannte sich wirklich aus. Er wusste instinktiv, wie weit er gehen konnte, was sich verkaufte und zu welchem Preis, wie lange man Dinge horten und wann man sie auf den Markt werfen musste. Leo war ein Amateur, und manche Waren, mit denen Belanger bedenkenlos handelte, rührte er nicht an. Florian Belanger saß schon nach einem halben Jahr … Cilea suchte nach den passenden Worten … am Steuer .
    »Wie seid ihr euch begegnet?«
    »Durch meinen Vater. Er hat uns einander vorgestellt, aber das hat er bald bereut. Bei einer Party in der französischen Botschaft. Vierzehnter Juli. Belanger war auch da. Damals arbeitete er schon auf eigene Faust, schloss allein Geschäfte ab. Leo hasste ihn, weil er keinen Respekt vor Kunst, Gebäuden und Büchern hatte – allem, was Leo am Herzen lag. Belanger war das Schicksal der Stadt gleichgültig. Das schaffe Platz, sagte er, dadurch könne man Dinge verkaufen … sie seien plötzlich beweglich. Leo meinte immer, fünfzig Prozent des Geschäfts würden darin bestehen, die Dinge beweglich zu machen … Beweglich! Belanger hat ihn nur beim Wort genommen.« Cilea lächelte bei dieser Erinnerung. »Alles wurde demontiert, abgeschraubt, zerlegt. Belanger packte die Sachen ein und verkaufte sie. Damals, an unserem ersten Abend, unternahm er eine Spritztour mit mir. Er hatte eine Suite im InterContinental, ein Penthouse wie aus einem amerikanischen Film. Er stand am Fenster und präsentierte mir das dämmrige Bukarest, erzählte, eines Tages werde es so hell erstrahlen wie New York oder London. Es würde rund um die Uhr geöffnete Läden und Nachtclubs geben, Restaurants, in denen man jederzeit essen könne, Theater und Kinos, blinkende Neonreklamen. Ich lachte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es solche Orte gab. Damals noch nicht.«
    Belanger hatte ihr das Bukarest der Zukunft geboten. »Er hat mich nach Paris, Madrid und Rom mitgenommen. Mein Vater war dagegen, nannte ihn einen Kriminellen … wollte ihn verhaften und abschieben lassen, aber zu dem Zeitpunkt arbeitete Belanger schon mit Stoicu zusammen, und Stoicu hat es verhindert. Belanger stand unter Schutz. Manea war gedemütigt. Dann wurde Florian überfallen. Man brach ihm beide Beine und drohte, ihn zu töten, wenn er bleiben würde. Seither kann er nicht mehr richtig gehen. Und eines Tages ist er verschwunden.«
    Ich schwieg. Ganz gleich, welche Art von Mensch Belanger war, Cilea hatte ihn damals geliebt, und sie liebte ihn noch heute. So würde sie nie von mir erzählen.
    »Er war kein Gangster. Er war nicht schmierig oder brutal. Und ich habe nie etwas von dem mitbekommen, was man ihm unterstellt hat …«
    Ich schnitt ihr das Wort ab: »Der Belanger, wie ihn die meisten von uns kennen, war ein Menschenhändler und Drogendealer. Er hat sein Geld im Sexgeschäft verdient. Er hat die Teile einer sich auflösenden Stadt verscherbelt und mit der Securitate unter einer Decke gesteckt. Er hat sich eine goldene Nase verdient, indem er die Verzweiflung der Menschen ausgenutzt hat.« Mein Zorn überraschte mich selbst. Ich hasste Belanger – wegen Leo, wegen Cilea. Ich lebte in der leeren Hülle, die er hier zurückgelassen hatte, führte ein von ihm geborgtes Leben.
    »Die meisten von uns? Spinnst du? Du

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