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Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Titel: Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick McGuinness
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nicht, dass Vintul das Geld verwaltet hat und alle Namen und Orte kannte. Er hat Bargeld und Wertsachen vermutlich an Stoicu und Belanger weitergeleitet. Petre hat er dann weisgemacht, er hätte es an Bedürftige verteilt. Vielleicht hat es diesen Fonds auch nie gegeben. Es gab nur die Namen auf Petres Liste, und die dürfte inzwischen in den Händen der Securitate sein. Oh, und das Geld – das hat es wirklich gegeben. Jedenfalls zeitweise.«
    »Warum hast du mir suggeriert, ich wäre Schuld daran? Du hast ja gerade so getan, als wären sie aufgeflogen, weil ich Cilea mit ins Spiel gebracht habe.«
    »Was sollte ich sonst denken? Es leuchtete ein: Cilea war Belangers Mädchen, und das ist sie heute noch. Du warst der einzige, der das nicht gewusst hat. Wir haben geahnt, dass sie ihre Finger mit im Spiel hatte.« Leo senkte den Blick, schüttelte den Kopf. »Aber wenn irgendjemand schuld ist, dann ich. Ich habe Belanger mit einbezogen, ihn aufgebaut und unterstützt. Du begreifst vielleicht, dass ich mir das nur ungern eingestehe …«
    Ich ging aus dem Zimmer, knallte die Tür hinter mir zu und ließ Leos Worte ins Leere laufen.
    Eigentlich hätten wir Ottilia erzählen müssen, dass Petre tot war. Stattdessen fand sie es auf die denkbar grausamste Art selbst heraus. Ich hatte Leo im Wohnzimmer gelassen und tröstete mich mit einem Johnnie Walker epischen Ausmaßes, als gegen zweiundzwanzig Uhr das Telefon klingelte.
    »Ich bin es«, schrie Ottilia, die im Lärm von Motoren und Hubschraubern kaum zu verstehen war.
    »Wo bist du?«
    »Im Leichenschauhaus. Petre ist hier. Bitte hol mich ab.« Sie legte auf, vielleicht wurde die Verbindung unterbrochen – schwer zu sagen. Leo war schon auf den Beinen und griff nach dem Autoschlüssel. Seitdem ich das Wohnzimmer verlassen hatte, hatten wir kein Wort mehr gewechselt, aber das war jetzt sowieso überflüssig, denn Leo ahnte, was los war.
    Für eine Strecke von normalerweise zwanzig Minuten brauchten wir eine Stunde. Hinter Aviatorilor war der Himmel blutrot und rauchverhangen, und alle hundert Meter gab es eine Straßensperre. Das Leichenschauhaus stand unter Polizeischutz, der Vorhof war wie ausgestorben. Die Telefonzelle, aus der Ottilia vermutlich angerufen hatte, war leer. Vielleicht hatte sie nicht warten können und war zu Fuß aufgebrochen. Wir nahmen einen anderen Rückweg und hofften, sie zu überholen.
    Im Osten brannte die MetalRom-Fabrik. Ihre Schornsteine zeichneten sich deutlich gegen den hell erleuchteten Himmel ab. Gleich vorn auf dem Boulevard des sozialistischen Sieges standen acht bewaffnete Fahrzeuge mit laufendem Motor und offenen Türen. Darin saßen über Schnellfeuerwaffen gebeugte Paramilitärs, die mit Helm, Gasmaske und Nachtsichtgerät wie außerirdische Monster wirkten. Sie warteten reglos auf ihren todbringenden, eiskalten Einsatz in den Straßen. Ganz in der Nähe standen zwei schwarze Transporter mit Generator auf dem Dach: Kühlwagen des Leichenschauhauses.
    Plötzlich krachten Schüsse in der brennenden Fabrik – nicht mit dem satten Klang, den man aus Filmen kannte, sondern mit dem schwachen Hall von Stahlmantelgeschossen, die die Luft durchschnitten.

FÜNF
    Ottilia war nicht da, als wir zu Hause eintrafen. In der Stadt wimmelte es von Securitate-Agenten. Im Industriegebiet schien es Unruhen zu geben. Als Leo das Radio einschaltete, hörten wir im BBC World Service gerade noch Trofims Stimme. Dieser, inzwischen als »Rumäniens angesehenster Dissident« vorgestellt, kommentierte die brutale Reaktion des Militärs gegen einen Sitzstreik in der MetalRom-Fabrik, der, wie er erklärte, in Bukarest der erste ernst zu nehmende Akt des Widerstands gegen Ceaușescu sei. Der Streik habe sich zum Aufruhr ausgewachsen, und die benachbarte Autofabrik habe sich inzwischen angeschlossen.
    Die Leitung knisterte, während Trofim die Gewalt verurteilte, mit der das Regime reagierte. Es gab bereits Dutzende von Toten, die Securitate fahndete in den Krankenhäusern nach Verwundeten: »Was wir hier in Rumänien erleben, ist eine Travestie des Sozialismus. Unsere Nachbarn leiten dringend notwendige Reformen ein, und hier wird gegen das Volk Krieg geführt – gegen die Arbeiter, denen diese Regierung eigentlich dienen sollte.« Die Verbindung brach ab. Der Nachrichtensprecher bat um Verzeihung und wandte sich dem nächsten Thema zu, der Öffnung der Grenzen Bulgariens.
    Leo und ich hörten den Nachrichten so konzentriert zu, dass wir Ottilia erst

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