Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)
leisen, gelassenen Stimme Maneas geweckt. Es war acht Uhr. Ich hatte drei Stunden geschlafen. Ich stand auf, benetzte mein Gesicht mit Wasser, das kalt, so eiskalt war, dass ich meinte, Glassplitter auf meinem Gesicht zu verreiben. Ich betrachtete mich im Spiegel: ein rotes, wie mit dem Scheuerlappen bearbeitetes Gesicht, müde Augen, fahle, unrasierte Wangen.
Manea hatte um die Ecke geparkt. Sogar er wollte beim Betreten der Wohnung nicht gesehen werden. »Es tut mir aufrichtig leid«, sagte er zu Leo. »Ich habe erst gestern Abend davon erfahren. Bitte glauben Sie mir. Das ist nicht meine Art, und es fällt nicht in meinen Bereich.« Bei meinem Anblick sagte er: »Sie wissen ja, wie es läuft: Sowohl Stoicu als auch ich haben Spitzel in den Oppositionsgruppen. Falls nötig, machen wir uns die Hände schmutzig. Das ist normal. Das gehört zu unserer Arbeit. Wir wollen beide wissen, was der jeweils andere tut. Er spioniert mich aus, ich spioniere ihn aus. Ich habe einen Informanten in Stoicus persönlichem Stab, und ich weiß, dass er einen Agenten in die Musik- und Samisdatszene der Universität eingeschleust hatte, die auch mit Fluchthilfe und Menschenschmuggel zu tun hat. Die Tarnung des Agenten ist inzwischen aufgeflogen. Er kann nicht mehr eingesetzt werden. Doch in der Nacht, in der die beiden jungen Männer umgekommen sind, hat er nach einem Kampf jemanden getötet, einen Mann, dem dicht an der Grenze aus nächster Nähe in den Kopf geschossen wurde. Das passt zu unseren Informationen, die von einem einzigen Schuss sprechen. Dieser Tote war der junge Mann, wegen dem Sie mich aufgesucht haben und den ich damals noch nicht kannte. Petre. Man hat seine Leiche nach Bukarest gebracht, um ihn als den Agenten Stoicus auszugeben. So hätte der echte Agent seine Arbeit fortsetzen können. Den Rest wissen oder ahnen Sie: Dieser Agent, den Sie unter dem Namen Vintul kennen, wurde im Athénée-Palast gesehen und erkannt. Von Ihnen und Leo, auch wenn Sie das einander verschwiegen haben.«
»Darum musste Petre sterben?« Ottilia stand in der Tür. »Um die Wühlarbeit irgendeines Arschlochs von der Securitate zu decken? Um als jener Agent ausgegeben werden zu können, von dem er erschossen wurde? Damit Sie Ihre parteiinternen Machtspiele fortsetzen können?« Sie krallte die rechte Hand in ihren linken Unterarm.
»Nein, Petre wurde ermordet, weil er zu viel über Stoicu, Belanger und die anderen wusste. Weil er ahnungslos für sie gearbeitet, Geld für sie verdient und Leute über die Grenze geschleust hat – all dies im Glauben, diesen Menschen zu einem neuen Leben zu verhelfen. Irgendwann hätte er natürlich Lunte gerochen. Dummerweise war Vintul der einzige, den er nicht verdächtigte, und darum hat er ihm bis zum Schluss vertraut.«
Manea wollte auf Ottilia zugehen, aber sie bremste ihn mit einer ruckartigen Geste. Er hob entschuldigend die Hände, trat wieder zurück. »Petre hat für mich gearbeitet. Er war mein Informant. Er sollte die Schieber ausfindig machen, ihren Geldfluss und ihre Verbindungen ins Ausland unterbrechen, die korrupten Securitate-Agenten ausschalten. Er sollte herausfinden, wer der Kopf der ganzen Sache ist, und er hat es herausgefunden …« Er sah Leo an. »Sie wissen das natürlich, Leo. Sie wissen, wer der Kopf des Ganzen ist, denn Sie haben ihm auf die Beine geholfen …« Leo wollte etwas zu seiner Verteidigung sagen, schwieg aber und wandte den Blick ab. Wieder lag uns allen der Name auf der Zunge – Belanger –, aber niemand mochte ihn aussprechen.
Manea wandte sich an Ottilia. »Als Sie mich besucht haben, war ich noch nicht im Bilde. Ich wusste nicht genau über Petres Verbindung zu Vintul Bescheid, und vielleicht hätten wir die Sache rascher durchschaut, wenn Sie damals etwas offener gewesen wären. Ich wartete ab, weil ich glaubte, dass Petre Kontakt zu mir aufnehmen würde. Ich dachte, er würde wiederauftauchen, sein Doppelleben aufgeben. Aber er hat sich nicht gemeldet. Petre war ein guter Mensch, besser als die meisten anderen. Er hat niemanden verpfiffen, seine Mitbürger nie unterdrückt. Er hat vielen Leuten geholfen, hat seine Stellung immer genutzt, um anderen das Leben zu erleichtern. Das wissen Sie. Zugleich war er Sozialist. Er verkörperte, was die Partei hätte sein können, wenn sie ihre Wurzeln und Prinzipien nicht verraten hätte. Wir sind nicht alle wie Stoicu und seine Kumpane. Petre verabscheute Korruption und Gewalt, und er verabscheute die Machenschaften
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