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Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Titel: Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick McGuinness
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gewaltigen kollektiven Anstrengung, die das Land angeblich an den Rand – bis vor die Ausläufer – einer neuen, erleuchteten Ära brachte. Die Schlagzeile lautete: Ära des Lichts!
    »Ära der gottverdammten Vierzig-Watt-Funzel«, sagte Leo verächtlich und warf die Zeitung quer durch das Zimmer – inzwischen hatte man auch die Glühlampen rationiert. »Ich muss zusehen, dass ich meine selbst gesetzte Whiskymarge erreiche. Möchte mir jemand dabei helfen?« Er öffnete eine neue Flasche Scotch, bereitete sich düster darauf vor, ihre Tiefen ganz allein auszuloten.
    Aber das Trinken half nicht, und die Abendessen im Capsia boten auch keine Zerstreuung. Leo begann seine Geschäfte zu vernachlässigen, verlor hier einen Kunden, vergaß da eine Lieferung. Belanger und das Schicksal Petres hatten ihm alles vergällt. Nur eine Arbeit hielt ihn noch aufrecht, sein Buch der verlorenen Wege, das umso dicker wurde, je weniger es zu beschreiben gab.
    Der Kahlschlag in der Stadt schritt so rasant voran, dass sich dort, wo Tage zuvor noch Gebäude und Menschen gewesen waren, plötzlich freie Flächen erstreckten. Man kam immer wieder an vertrauten Orten vorbei und stellte fest, dass sie wie vom Erdboden verschluckt waren. Das erinnerte mich an einen Stummfilm Chaplins, in dem ein Mann zu seinem abgerissenen Haus zurückkehrt, ohne zu merken, dass es nicht mehr steht. Er geht zur verschwundenen Tür, steckt den Schlüssel in das nur noch in seiner Erinnerung vorhandene Schloss, schließt auf und geht hinein, tritt sogar die Schuhe auf der fehlenden Fußmatte ab. Als er sich in seinen Lieblingssessel setzen will – den er sich einbilden muss –, fällt er auf den Hintern und wird sich endlich der Tatsache bewusst, dass nichts mehr da ist.
    Ein stellvertretender britischer Außenminister reiste während der Woche des Parteikongresses wie angekündigt für einen offiziellen Besuch an. Eigentlich hatte der Amtsträger selbst kommen wollen, aber je isolierter Rumänien dastand, desto tiefer war die Wichtigkeit der Visite heruntergestuft worden. Ich ging allein hin, denn Trofim und Leo weigerten sich, zum Empfang zu erscheinen, und Ottilia sprach nicht mehr mit mir. Wintersmith hatte das Kommando, ein öliger Zeremonienmeister. Er zwinkerte mir verschwörerisch zu, als ich an ihm vorbeiging, und zeigte auf Cilea, die trotz der Kälte draußen auf der Terrasse eine Zigarette rauchte. Ich trat hinter sie, und sie begrüßte mich, ohne sich umzudrehen.
    »Gehen wir ins Ship and Castle ?«, fragte sie und warf einen Blick auf das Botschaftsgelände. »Ich muss dir unbedingt etwas erklären.« Cilea hakte sich bei mir unter. Wir waren wieder Fremde füreinander, und sie legte die unverbindliche Nähe unserer ersten Treffen an den Tag. Ich spürte ihre Aura von Einsamkeit und sexueller Attraktivität, die mich damals so fasziniert hatte.
    »Ist das nicht längst zu spät?«, fragte ich.
    »Nein«, antwortete sie. »Es kommt noch mehr auf uns zu. Irgendetwas kommt immer noch …«
    Wir ließen uns an einem Ecktisch nieder, sie im schwarzen Cocktailkleid, ich im schlecht sitzenden Anzug. Sie zog die Blicke der Gäste auf sich: Ihre langen schwarzen Haare, ihr roter Mund, die ungewöhnlich braune, makellose Haut. Ihre Augen waren schwarz, ihr Blick war brennend, und die Kälte hatte ihre Wangen gerötet.
    »Du wusstest, was Petre zugestoßen war …«
    »Nicht sofort. Ich habe erst geahnt, was los war, als Florian einen seiner Leute erwähnte, einen von Stoicus Agenten, der mit einem von meinem Vater eingeschleusten Mann an der Grenze gewesen war. Das war Teil eines schon seit Monaten schwelenden Machtkampfes zwischen meinem Vater und Stoicu. Belanger hat es nicht befohlen, falls du das glaubst … Er bekam dadurch sogar jede Menge Ärger, denn Maneas Mann hat nicht nur Stoicu zu Fall gebracht, sondern auch die Hälfte von Florians Bukarester Netzwerk ausgeschaltet. Und wenn es dich tröstet – du hattest damit nichts zu tun.«
    »Betrachte mich als getröstet«, erwiderte ich sarkastisch. »Und das ist der Typ, zu dem du zurückkehren willst? Der Mann, den du liebst?«
    Cilea sah mich erstaunt an. »Ja. Ich kenne den wahren Florian. Ich kenne auch das wahre Gesicht meines Vaters und liebe ihn trotzdem.«
    »Erzähl mir von ihm … von Belanger, meine ich. Erzähl mir von Florian …«
    Ihre Finger zitterten. Asche fiel auf den Tisch. Sie pustete sie auf den Fußboden, zog dann lange und tief an der Zigarette. »Wo soll ich anfangen?«,

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