Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)
nahm meine Hand und führte mich nach draußen. Das war ihre erste zärtliche Geste, seit Manea uns von Petres Tod berichtet hatte. Die Krankenschwester schob mehrere Blutkonserven an uns vorbei. Sie sahen schwer aus, das Blut wirkte dunkel und dickflüssig.
»Willst du nicht lieber nach Hause fahren?«, fragte ich Ioana. »Warte dort auf ihn, ruh dich aus, bereite alles für seine Rückkehr vor. Er wird jemanden an seiner Seite brauchen. Ich rufe dich an, sobald wir wissen, was los ist.«
»Eigentlich war ich kurz davor, ihn zu verlassen. Ich wollte es ihm heute sagen. Ich scheue seit Wochen davor zurück, weil mir immer der Mut gefehlt hat.« Ioana schlug eine Hand vor ihr Gesicht, begann zu weinen. Ich hatte immer ihre Gabe bewundert, Trauer in Wut, Leid in Angriffslust verwandeln zu können. Jetzt gelang ihr das nicht mehr, und es war das erste Mal, dass ich sie weinen sah. Ich dachte über die Logistik der Pflege eines schwer kranken Leos nach – keine angenehme Vorstellung, aber besser als jene, die ich damit verdrängte: Leos Leichnam, der durch die Türen des Operationssaals gerollt und in Campanus Wagen geladen wurde. Ich fror, und ich hatte Angst, machte mich auf einen neuen Verlust gefasst. Doch meine Angst galt nicht nur mir selbst. Ohne Leo wäre die Einsamkeit allumfassend.
»Es ist unmöglich, mit ihm zusammen zu sein. Er ist den ganzen Tag unterwegs, und er schreibt die ganze Nacht. Wir können hier kein gemeinsames Leben führen – er hat nur sein Buch und die Stadt und diesen elenden Schwarzmarkt im Kopf. Seine Geschäfte und Fotos … Wir werden nie wie ein normales Paar zusammenleben. Ich will schon seit langem weg, und ich werde verschwinden, sobald man die Grenzen öffnet. Vielleicht schon früher. Das habe ich ihm gesagt. Er hat nicht einmal von seinem Notizbuch aufgeschaut, sondern nur ›Hm-hm …‹ gebrummt. Er war wie taub. Ich habe meine Worte wiederholt, weil ich hoffte, er hätte sie überhört, aber er meinte nur: ›Wenn du gehen möchtest, dann geh.‹ Nicht einmal aufgeschaut hat er. Und nun liegt er dort und stirbt vielleicht, und ich wollte ihn verlassen.« Sie griff nach meinem Arm. »Er hat geglaubt, die Stadt zusammenzuhalten, hat sich für ihr Gedächtnis gehalten, für denjenigen, der sie am Ende wieder in ihren Ursprungszustand zurückversetzen kann. Aber er begreift nicht. Er ist nur ein besserer Parasit, der sich durch die Trümmer wühlt. Irgendwann hat er sich sogar Orte ausgemalt, die es gar nicht gab. Für ihn sind sie wirklicher als wir …«
Ioana lag schlafend auf der Bank. Ich lief rauchend im Flur auf und ab. Nach drei Stunden kam Campanu wieder zum Vorschein. Er schwitzte trotz der Kälte, und seine Finger zitterten, als er sich eine Zigarette anzündete. Seine Haare waren nass und strubbelig, die Ärmel bis über die Ellbogen aufgerollt.
»Sie hat den Druck auf das Gehirn gesenkt, operiert und die Blutung gestoppt. Sein Schädelbruch wird heilen, und er zeigt schon jetzt Anzeichen von Besserung. Außerdem hat er einen gebrochenen Knöchel und wird nach der Entlassung eine ganze Weile im Rollstuhl sitzen müssen.«
»Darf ich zu ihm?«, fragte Ioana.
Campanu nickte. »Erwarten Sie nicht zu viel – er wird noch tagelang bewusstlos sein, und danach wird es dauern, bis er sich erholt. Aber gehen Sie nur hinein.« Er wandte sich an mich. »Er wäre fast gestorben. Ich hätte ihn ebenso gut ins Leichenschauhaus fahren und den Y-Schnitt vornehmen können. Doch stattdessen kann ich Ihnen glücklicherweise mitteilen, dass Sie ihn pflegen müssen, bis er wieder … tja … normal ist.« Er lächelte erschöpft. »Meine Arbeit bringt keine Wunder mit sich, aber was Ottilia hier geschafft hat, muss in Anbetracht der Umstände wohl als eines gelten … Für mich ist es allerdings ein medizinisches Rätsel.«
Schließlich kam Ottilia. Ihr weißer Kittel war voller Blut, die Haare klebten an ihrer Stirn. Ich war eingenickt – nur die Angst hatte mich wach gehalten, und nachdem sie sich gelegt hatte, versank ich in einem Abgrund aus beruhigender, bilderloser Dunkelheit. »Er wird sich erholen, aber er sollte das Krankenhaus bald verlassen; das wäre besser für ihn. Nimm ihn bei dir auf. Ich schaue dann nach ihm.« Sie führte mich zu dem bewusstlosen, an Schläuchen und Tröpfen hängenden Leo. Im Hintergrund ertönte das regelmäßige Piepen eines Apparates. Ich beugte mich über Leo, berührte sein Gesicht. Er war wärmer, kämpfte sich zurück ins Leben. »Wo
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