Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)
Berieselung durch fröhliche Melodien. Die Pläne waren in der Parteizentrale ausgestellt: Neoklassizistische Sockel und Säulen trugen eine gewaltige Glaskuppel, einen Kristallpalast totalitären Freizeitvergnügens.
Der Abriss verlief ungewöhnlich. Der Turm sollte gesprengt werden – man wollte die Steine nicht nur einzeln abtragen, sondern vollständig zertrümmern, um einen Wiederaufbau unmöglich zu machen. Vor einigen Jahren, zu Beginn der Abrissarbeiten, hatte man bedeutende Bauwerke demontiert und eingelagert. Sie schlummerten in ihren Steinarchiven wie Untote in ihren Gräbern, bereit, wiederaufzuerstehen und Ceaușescu heimzusuchen. Jetzt ging man gnadenloser vor: Gebäude wurden gesprengt, die Trümmer von Dampfwalzen zerkleinert und danach als Ballast in die riesigen Baugruben gekippt, die nun an der Stelle der abgerissenen Gebäude gähnten. Es war wie in Todeslagern, wo Häftlinge vor der Hinrichtung ihr eigenes Grab schaufeln mussten. Leo hatte die Stadt als Megalomanen-Nekropole bezeichnet, und obwohl uns sein apokalyptisches Gerede auf die Nerven ging, hatten wir alle das Gefühl, dass dies eine Endzeit war, dass Bukarest sowohl zu seinem eigenen Geist als auch zu seinem eigenen Grab wurde.
Wir standen in einer kleinen Menschenmenge, trotzten der Kälte und den Kameras der Securitate. Ich erkannte Andrei Liviu, den Dichter, totenbleich, aber mit festem Schritt. Er war extra aus Constanţa gekommen, um zu protestieren, und seine Anwesenheit erregte Aufmerksamkeit. Sein Krebsleiden war ihm nicht mehr anzusehen, aber jeder wusste, dass sein Tod nur eine Frage der Zeit war. Er verglich die Krankheit in seinen neuen Gedichten mit einer Verschwörertruppe, die sich im Verborgenen neu organisierte und auf den Putsch gegen seinen Körper vorbereitete. Das Kultusministerium hatte das Buch verboten, weil der Zensor zu dem Schluss gekommen war, der Krebs sei eine Metapher für den Staat. Doch er irrte: Der Staat war eine Metapher für die Krankheit.
Ion Marinaru war mit seiner Frau gekommen. Sie waren ein hübsches Paar, und wenn Rumänien so etwas wie Filmstars zu bieten hatte, dann diese beiden. Neben ihnen stand Vasile Iorba, der Romanautor, noch ein braver Parteigenosse, der jetzt aus der Deckung kam. Sein neuestes Buch, eine Art Science-Fiction-Roman über eine Strafkolonie auf dem Mars, war knapp an einem Verbot vorbeigeschlittert; der Roman hatte erscheinen dürfen, weil Elena Ceaușescu dessen Kernidee nach der Lektüre zu ihrem politischen Anliegen gemacht hatte: Das Weltraumforschungszentrum Rumäniens, dessen Schirmherrin sie war, verdankte seine Existenz diesem kleinen, sarkastischen Schriftsteller – er war der Vater des rumänischen Raumfahrtprogramms, so unwahrscheinlich dies auch klingen mochte. Leute wie er stellten sich zum ersten Mal gegen das Regime.
Ein Hauch von Improvisation lag in der Luft. Man wusste nicht, wie man dastehen oder wie trotzig man schauen sollte. Die Leute probierten unterschiedliche Haltungen und Mienen aus, unterhielten sich laut, um den Mut nicht zu verlieren. Die Polizei war nicht viel besser vorbereitet. Man wusste, dass die Securitate geholfen hatte, Proteste in Fabriken und Bergwerken zu unterdrücken, aber dies war anders – hier protestierten Schriftsteller und Künstler, Parteimitglieder, Gläubige und Technokraten, Ausländer und Diplomaten. Die Behörden konnten sich an keinem Präzedenzfall orientieren.
Hinten standen Ozeray und der russische chargé d’affaires . Wiederum dahinter sprach Maltschew, der Prawda -Korrespondent, in sein Diktaphon, während seine Fotografen ein Bild nach dem anderen machten. Die Anwesenheit der Russen ermutigte die Menge. Rufe wie »Gorbatschow! Gorbatschow!« und »Perestroika!« wurden laut. Jemand rief »Trofim!« und einen Namen, den ich noch nie gehört hatte: »Nationale Rettungsfront!«
Bei Sonnenuntergang wurde die Sprengladung gezündet. Der Turm wankte. Ein paar Ziegel fielen vom Dach, der kleine, hölzerne Glockenturm verlor mehrere Sparren. Kurz darauf erbebte das Bauwerk und sank wie ein Schatten seiner selbst in seinem Umriss in sich zusammen. Eine Wolke aus Staub und Steinchen stieg auf. Danach war der Weg frei: Die Seilbagger mit den Abrissbirnen stürzten sich wie eine Hunderotte auf das Gebäude, zertrümmerten die Hindernisse, legten das Tor flach, plätteten den Friedhof, durchbrachen die Klostermauern. Holzbalken flogen wie Streichhölzer durch die Luft.
Leo rannte gegen den Polizeikordon an. Er
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