Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)
ist Ioana?«, fragte ich, weil ich meine Freude mit ihr teilen, die Erleichterung auf ihrem Gesicht sehen wollte. Wir sahen uns um, aber sie war verschwunden.
Man verlegte Leo in ein Zimmer, das den Eindruck erweckte, Krankheiten zu konservieren, ihnen zu helfen, sich von der Behandlung zu erholen, damit sie wieder aufflammen konnten – stärker, zäher, immun gegen jede ärztliche Kunst. In den menschenleeren Fluren gingen unsichtbare Infektionen um, Schädlinge und Viren suchten nach frischem Fleisch, auf das sie sich stürzen konnten, nach immer neuen Jagdgründen.
Nach drei Tagen schlug Leo die Augen auf. Sein Kopf rollte zitternd nach links, als wollte er mich begrüßen, dann zur anderen Seite, wo die lesende Ottilia saß. Er stemmte sich auf die Ellbogen, um über den Horizont des Bettlakens schauen zu können.
»Herrgott …«, krächzte er. »Falls ich noch lebe – und wenn ich mich so umsehe, bin ich mir da nicht sicher –, müsst ihr mich hier wegschaffen, bevor ich sterbe.«
Zwei Tage später fuhren wir ihn zu mir. Sein Knöchel war in Gips, und Ozeray hatte einen uralten Rollstuhl aus Bambus aufgetrieben, der aussah, als hätten weiße Siedler im Kongo darin ihren Rasenflächen inspiziert. An diesem Rollstuhl war ein verstellbarer Sonnenschirm aus grauer Seide befestigt, die Armlehnen waren mit Aschenbecher und Halterungen für Glas und Flasche ausgestattet. Er war genau richtig für Leo, der darin herumkurvte wie ein Rollstuhl-Napoleon bei der Musterung seiner Truppen. Eines Tages stand Iulia, eine unserer Studentinnen, vor der Tür, um Leo für eine von ihr so genannte »Testfahrt« zu entführen. Von da an kam sie täglich.
Leo wusste, dass Ioana verschwunden war, und er wusste auch, dass sie nie mehr zurückkehren würde. Als ich seine Sachen aus ihrer Wohnung holte, war diese schon leer. Sie hatte keine Nachricht hinterlassen. Wenn die beiden Abschied voneinander genommen hatten, so war das im Krankenhaus geschehen: Sie hatte ihm zu verstehen gegeben, dass sie ging, und er hatte es begriffen, ob durch Osmose oder Gedankenübertragung. Er erwähnte sie nie wieder.
Leo passte sich dem Leben auf Rädern bestens an. Nachdem er tagelang rauchend durch die Wohnung gerollt war und jugoslawischen Sekt geschlürft hatte, machte er sich wieder an die Arbeit, anfangs nur in kurzen Schüben, weil sein Kopf schmerzte, sobald er sich konzentrierte. Als er wieder bei Kräften war, bat er mich, nächtliche Ausflüge mit ihm zu unternehmen – ich schob ihn, und er machte sich Notizen in einem Schulheft aus dem Monocom. Unser erster Ausflug führte uns zu der Stelle, wo das Kloster gestanden hatte; dort befand sich jetzt ein aufgeräumtes, leeres und schmutziges Rund, abgeriegelt mit einem verschlissenen, im Wind flatternden Band.
Ottilia kam täglich, und sie blieb länger, als es die Pflege Leos erfordert hätte. Sie hatte sich verändert. Nach zehn Tagen bissen wir in den sauren Apfel und badeten Leo, der halb betrunken und so trotzig und träge wie ein neunzig Kilo schweres Baby war. Nachdem wir ihn gewaschen und seinen Schlafanzug gewechselt hatten, schlief er ein. Wir löschten das Licht und schlichen uns davon, ein Lachen unterdrückend.
Ottilia kehrte ebenso schrittweise zu mir zurück, wie sie sich von mir abgewandt hatte. In jener Nacht bat sie darum, auf dem Sofa schlafen zu dürfen. Ich bot ihr mein Bett an, aber sie lehnte ab. Als ich später ins Wohnzimmer ging, hörte ich ihren schlaflosen Atem. Wenn im Dunkeln jemand die Augen öffnet, kann man das hören. Ich streichelte ihr Gesicht, und sie zog meine Hand vor ihren Mund.
»Warum hast du mich verlassen?«
»Ich habe dir wohl die Schuld geben wollen, mich selbst aber noch schuldiger gefühlt. Ich habe Petre immer bewundert. Ich hielt ihn für makellos, für einen perfekten Menschen. Für ehrlich und prinzipientreu. Und weil ich ihm nicht mehr vorwerfen konnte, all das nicht gewesen zu sein, habe ich meinen Vorwurf gegen uns und unseren Glauben an seine Integrität gerichtet.«
»Jeder hat daran geglaubt. Und es stimmte ja auch. Es war nur so, dass er noch eine andere Seite hatte.«
Vor ein paar Wochen hätte sie mich für diese Worte mit Verachtung gestraft. »Ja, ich weiß. Ich habe versucht, mir eine weiße Weste zu bewahren, mich nicht zu beugen, und im Vergleich mit ihm hatte ich immer das Gefühl, dabei zu versagen. Ich wollte keine Kompromisse eingehen, ebenso gut sein wie er. Ich wäre schlauer gewesen, wenn ich kapiert hätte,
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