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Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Titel: Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick McGuinness
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Laufe der nächsten zwei Wochen konnten wir beobachten, wie Oleanu sich von Grund auf änderte. Früher war er ein berechnender, analrenitenter Feigling gewesen, hatte das zeitschindende Gestotter der Politiker nachgeahmt, eine rechteckige Brille getragen, die Haare nach hinten gegelt. Seine Hosen hatten Hochwasser gehabt, seine knochigen Handgelenke aus den Ärmeln einer röhrenförmigen Jacke geragt. Nun waren seine Haare strubbelig, und er trug Jeans und ein oben offenes Hemd. Die runde Brille und der Ansatz eines Spitzbartes verliehen ihm eine Ähnlichkeit eher mit dem jungen Trotzki als mit dem jungen Lenin. Er hatte zugenommen, wirkte muskulöser.
    Schon bald entwarf er Trofims Reden, tippte dessen Briefe, begleitete ihn zu Veranstaltungen. Er las sozialistische Dissidenten – Trotzki, Victor Serge, Rosa Luxemburg, Gramsci –, erfand sich neu als intellektuellen Hüter des wahren Kommunismus. Oleanu hatte seinen Glauben nicht verloren, sondern nur verlagert.
    Trofim wurde immer massiver eingeschüchtert. Am Telefon erzählte man ihm, dass man den Leichnam seiner Frau exhumiert und den Hunden zum Ficken vorgeworfen habe; dass die Juden immer noch gut für die Gaskammern seien; dass man ihn bei lebendigem Leib häuten werde. Die Stimme war jedes Mal anders, klang aber immer ähnlich höhnisch, verlas die ganze Nacht obszöne Texte. Trofim ließ sich nichts anmerken. Er scherzte sogar, dass diese Anrufe phantasievoller als alles seien, was die offizielle Literatur während der letzten zwanzig Jahre hervorgebracht habe. Aber sie zermürbten ihn physisch durch Schlafentzug; nachdem er das Telefon ausgestöpselt hatte, pochte man gegen seine Tür, schob pornographische Bilder durch den Briefschlitz.
    Auf den Straßen Bukarests schienen Schikanen dieser Art abstrakt und weit weg zu sein. Man hörte immer wieder Gerüchte über streikende Arbeiter, Hungerrevolten, das vereinzelte Aufgebehren von Dissidenten, aber ebenso oft hörte man von der Niederschlagung dieser Unruhen, von mitternächtlichen Hausdurchsuchungen, vorgeschobenen Einweisungen in Anstalten, willkürlichen Umsiedlungen und Verhaftungen.
    Der Kommunismus stand kurz vor dem Zusammenbruch, nur ahnten wir noch nichts davon, jedenfalls nicht hier. Nach dem Fall der Mauer wurden die Grenzen der DDR geöffnet. Man versprach freie Wahlen, neue Parteien, Hilfe aus dem Westen. Aber das galt nicht für uns. Im Rückblick bildet man sich gern ein, dass jeder Stein, der aus den Gefängnismauern des Kommunismus gebrochen wurde, einen neuen Lichtstrahl einließ. Das mochte in Warschau, Prag oder Berlin das vorherrschende Gefühl sein. In Bukarest erinnerte es einen nur daran, wie fest man noch eingemauert war, dass es nie genug Licht für alle geben würde. Jede Verbesserung im Ausland führte hier zu neuem Druck. Ungarn öffnete die Grenzen, Rumänien riegelte seine noch stärker ab. Westdeutschland ließ der DDR finanzielle Unterstützung und Nahrungsmittel zukommen, hier wurden die Menschen durch neue Exportziele zu noch mehr Arbeit gezwungen, für die sie noch weniger bekamen. Sogar der Schwarzmarkt wurde in Mitleidenschaft gezogen, weil man alternative Versorgungskanäle dichtmachte. Die Quoten ließen nichts mehr zum Abstauben übrig, die Lagerbestände schmolzen zusammen; man konnte nichts mehr abzweigen, keine Kleinigkeiten mehr verkaufen oder eintauschen. Die Luxuswaren gab es nach wie vor, sie erhoben sich wie glitzernder Schaum über die Entbehrungen des Alltags, aber die Grundbedürfnisse konnten nirgendwo mehr gedeckt werden.
    Als ich am siebzehnten Dezember morgens durch den grauen Schnee zur Arbeit stapfte, sah ich den Konvoi des Genossen, vielleicht auch eines Doppelgängers. Er raste mit Schneeketten, die auf dem schwarzen Eis knirschten, zum Otopeni-Flughafen. Da und dort rutschte tauender Schnee von Dächern, fiel in Klumpen auf die Bürgersteige und zerplatzte.
    Ich fand den frühen Morgen immer unerträglich. Die Straßen waren leer, doch das Gewirr der Fußspuren verriet, dass vor wenigen Stunden, im bläulichen Licht, Hunderte von Menschen zur Arbeit gegangen oder gerannt waren oder darauf gewartet hatten, abgeholt zu werden. Man fühlte sich sowohl allein als auch bedrängt – perfektes Wetter für einen Polizeistaat. Nach den ersten Frösten sagte Leo: »Hast du dich je gefragt, warum man vom Kalten Krieg spricht? Das liegt nicht nur an dem Scheiß über die eisigen Beziehungen zwischen Ost und West. Hier ist die Kälte eine Waffe, die

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