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Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Titel: Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick McGuinness
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Puste für die Wirklichkeit hat …«
    »Mit Gewissheit? Gar nichts. Aber ich schätze, dass du mit Campanu und seinem Leichenschauhaus bald um Kunden wetteifern wirst.« Leo schlug einen anderen Ton an: »Ich müsste eigentlich in das Flugzeug steigen, werde es aber nicht tun. Wenn ihr beide das Land verlassen wollt, wäre dies allerdings ein guter Zeitpunkt. Ich könnte euch dabei helfen.«
    »Ich gehe nicht fort. Dies ist meine Heimat«, erwiderte Ottilia so ruhig und nachdrücklich, wie Petre es getan hätte.
    Leo nickte. »Wisst ihr was? Während ihr euch alles durch den Kopf gehen lasst, feiere ich im Capsia. Meine Abschiedsparty soll eine ununterbrochene Folge von Höhepunkten werden, die am Freitagnachmittag in meiner Weigerung gipfeln wird, das Flugzeug am Otopeni-Flughafen zu besteigen. Wir treffen uns um neunzehn Uhr.«
    Leo verschwand im Bad. Wir hörten ihn brüllen, als kaltes Wasser aus dem Warmwasserhahn sprudelte. Ottilia und ich hatten noch nicht über die Zeit nach meiner Abreise gesprochen. Wir hatten keine Pläne geschmiedet, sondern immer so getan, als wäre alles in bester Ordnung, als wären wir nach Weihnachten immer noch gemeinsam hier. Im Gegensatz zu Leo hatte ich nicht die Möglichkeit, in Bukarest unterzutauchen und die Polizei auszutricksen. Wenn ich weiter mit Ottilia zusammen sein wollte, musste ich irgendwie zurückkehren. So unwirklich dieser Ort auch war, ich konnte mir nicht vorstellen, in einem anderen Land mit ihr zu leben.
    An diesem Tag herrschte in Bukarest ein angespannter, bleierner, von der Polizei verordneter Friede. Das Fernsehen zeigte den Conducător mit den Mullahs, und man hörte, wie er die Verpflichtung Rumäniens zum Sozialismus betonte. In Augenblicken nationaler oder internationaler Unruhe wurden die Ceaușescus jedes Mal neu inszeniert, und so berichtete die Scînteia , dass die Gilde der Korbflechter den beiden ihre höchste Auszeichnung verleihen wolle, den Orden des Goldenen Strohhalms.
    Um fünfzehn Uhr, während über uns Hubschrauber kreisten, wurde die Universität geräumt und geschlossen. In den Straßen führte man willkürliche Passkontrollen durch, die Polizei scheuchte jeden weiter, der stehen blieb, um ein Schwätzchen zu halten. Die Lebensmittelschlangen, immer gut für spontane Proteste und Wutausbrüche, stellten ein größeres Problem dar: Trieb man die Leute auseinander, dann löste man Unruhen aus, ließ man die Leute zu lange gewähren, so kam es irgendwann von selbst zu Krawallen. Die Menschen, die vor einer Fleischerei am Boulevard Magheru anstanden, wurden immer gereizter. Im Vorübergehen sah ich, dass mein hämischer Scînteia -Verkäufer mit dem Beutel winkte. Er nahm ein großes Risiko auf sich, indem er vor Hunderten von Zeugen und der Polizei mit einem Ausländer sprach. Sein Lächeln wirkte manisch, seine weit aufgerissenen Augen verrieten, dass ihm alles egal war.
    » Epoca luminosa! Ära des Lichts, wie? Kommen Sie her, Domnul , und reihen Sie sich in die Schlange der Glücklichen ein, die die Früchte ihrer sozialistischen Lebensweise ernten … Schauen Sie zu, wie uns diese Idioten, diese Dorftrottel in Uniform, von einer Schlange zur nächsten scheuchen. Das steht nicht in der Scînteia , was?«
    Die Leute lachten verbittert, verhöhnten und verfluchten die Polizisten. Irgendjemand rief: »Timișoara! Ceaușescu ist ein Mörder!« Zwei Männer scherten aus der Schlange aus, traten von hinten auf den Scînteia -Verkäufer zu und zerrten ihn an den Schultern fort: Securitate-Beamte in rumänischer Alltagskleidung – schlecht sitzender, abgetragener Mantel, billige Mützen aus Kaninchenfell, Stiefel aus dem Monocom. Der Verkäufer lachte und grinste wie ein Irrer: »Warum habt ihr euch angestellt, Genossen? Für die Securitate gibt es doch spezielle Läden. Oder sind auch dort die Regale leer?« Seine Hacken zogen Furchen durch den Schnee, als man ihn zu einem dunklen Dacia-Transporter schleifte. Die verunsicherten Polizisten versuchten die Leute zu beschwichtigen, baten sie, weiter anzustehen, sagten, dass es nichts zu sehen gebe. Aber auch sie blickten den Beamten der Securitate verbittert nach.
    Ich wollte eingreifen. Ein Securitate-Beamter bremste mich mit einer Handbewegung, doch ich ging weiter. Der Verhaftete brüllte: »Faschisten, Mörder, Abschaum!« Die Leute hatten Mut geschöpft, beschimpften die Securitate, die trotz der zusätzlichen vier Männer aus dem Transporter weit in der Unterzahl war. Ein aus der Menge

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