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Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition)

Titel: Die Abschaffung des Zufalls: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick McGuinness
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erzählten, was sich zugetragen hatte, aber Oleanu konnte seine instinktive Angst vor Leo nicht abschütteln. Dieser war für ihn die Verkörperung des dekadenten Kapitalismus, und er hatte so lange über seine Aktivitäten und Vorlesungen Bericht erstattet, dass er nun, als sein Dozent ihm Alkoholatem ins Gesicht blies, einen Arm um seine Schultern legte und ihm eine Flasche Chateau Musar aufnötigte (»Keine Bange – er stammt vielleicht von Arabern, aber es sind christliche Araber, und er hat vierzehn Prozent!«), nicht wusste, welches Gefühl überwog: Entsetzen oder Peinlichkeit.
    »Wo wohnst du, Genosse? Wir fahren dich nach Hause«, sagte Leo.
    »Nicht nötig. Ich kann zu Fuß gehen.«
    »Blödsinn, Tovarășul . Ich weiß, wo du wohnst, und das ist zwanzig Kilometer weit weg. Um diese Zeit fahren keine Busse oder Straßenbahnen mehr, und niemand soll mir vorwerfen, dass ich einer Blüte der Parteijugend meine Hilfe verweigert hätte, Teufel nochmal.« Er ratterte Oleanus Adresse herunter, ein schäbiger Wohnblock in einem Vorort, in dem der Mittelbau der Partei zu Hause war. Dort war das Leben etwas besser, aber nicht sehr viel besser und vor allem längst nicht mehr gut genug.
    »Wie du siehst, junger Mann, haben wir alle unsere Mittel, um an Informationen zu kommen. Und nun geh rein und sag deinen Eltern, dass dir nichts passiert ist.« Leo lachte leise. »Jedenfalls vorerst …«
    Wir sahen zu, wie Oleanu im Vierzig-Watt-Zwielicht seines Wohnblocks verschwand.
    »Warst du nicht ein bisschen zu streng mit ihm, Leo?«, fragte ich. Und Ottilia fügte hinzu: »Er hat auf seine Art Mut bewiesen. Vielleicht war es ein bisschen verrückt, aber es muss ihn große Überwindung gekostet haben …«
    Leo lehnte die Stirn gegen die Scheibe. »Kann sein … kann sein. Vielleicht mausert Oleanu sich zum Helden der Revolution. Aber während der letzten zwei Jahre hat er alles weitergetragen, was wir im Unterricht gesagt haben, hat seine Kommilitonen verpfiffen und denunziert … Wer gibt ihnen die Studienplätze zurück, die sie durch ihn verloren haben? Wer löscht die Aktenvermerke?«
    »Er hat das getan, weil er an das System geglaubt hat, auch wenn es vielleicht ein Irrglaube war …« Ottilia wollte Oleanu verteidigen, aber Leo schnitt ihr das Wort ab.
    »Macht das die Sache besser? Soll ich ihm etwa vergeben, weil er geglaubt hat, richtig zu handeln? Ist er deshalb besser als jene, die Spitzeldienste verrichten, weil sie sich einen Gewinn davon versprechen?«
    »Ja.« Ottilia sah ihn im Rückspiegel an. »Ja, ich denke schon.«
    »Nicht das schon wieder …« Leo klang gespielt irritiert und gelangweilt. »Glauben oder nicht glauben … Wie oft und mit wie vielen Leuten habe ich die Frage durchgekaut, ob es besser ist, das Falsche aus guten oder das Gute aus falschen Gründen zu tun. Ich habe mich längst für eine Antwort entschieden. Ich ändere meine Meinung nicht mehr. Ich bin für jene, die Schlechtes aus Eigennutz tun, denn wenn sich ihre Interessen ändern, verhalten sie sich auch anders. So einfach ist das. Und die anderen … Seht euch doch um.«
    »Haarspalterei, Leo, Haarspalterei. Oder, wie du zu sagen pflegst, Scheiße . Du denkst so, weil du der größte – Verzeihung: der zweitgrößte – Schwarzmarkthändler in der Stadt bist. Du redest dir ein, dass dein Verhalten Gutes bewirkt, weil du ein guter Mensch bist und innerhalb deiner kleinen Kreise Gutes zu tun versuchst. Aber du bist und bleibst ein Schwarzmarkthändler, Leo. Du verklärst den Nihilismus zu einer Tugend, weil dich das über die Tatsache hinwegtäuscht, dass du von einem System lebst, das du verachtest.«
    »Dieses … System , wie du es nennst, wurde von Eiferern wie diesem kleinen Furz mit seiner Parteinadel und seinen Treffen der kommunistischen Jugend erschaffen.«
    »Kann sein, Leo. Aber nachdem die Eiferer das System entworfen hatten, haben sie die Zügel den Zynikern übergeben, und aus diesem Grund bist du während der letzten Jahre so gut gefahren.«
    Leo wollte etwas erwidern, doch ihm fiel nichts mehr ein. Er brummte ein paar Sekunden mürrisch vor sich hin, dann hob er zum Zeichen der Unterwerfung die Hände.
    Ehrengast dieses letzten Parteitages der Partidul Comunist Roman war Yassir Arafat. Er saß in der ersten Reihe neben Elena und Nicolae Ceaușescu, ein kleiner, wettergegerbter Mann mit nervösen, wachsamen Augen. Der Lautsprecher, den er im Ohr trug, um auch ja kein Wort der Reden zu verpassen, funktionierte

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